Ein intelligentes Feuer

Pfingstsonntag Homilie - 

Das Johannes-Evangelium, das wir gerade gehört haben, ist die Weise, wie der vierte Evangelist das Pfingstereignis, die Gabe des Gottesgeistes, erzählt. Es ist wie eine Art Firmung. Der auferstandene Jesus kommt in die Versammlung seiner Jünger und sagt zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist!“ In der Mitte dieser Begegnung steht aber eine Bemerkung des Evangelisten, die man leicht überliest:

„Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.“

Das Pfingstfest ist vielleicht das am meisten vergessene christliche Fest. Die meisten Getauften stehen nicht Schlange vor der Kirchentür, sondern im Stau auf der Autobahn oder machen sonst etwas anderes. 50% der Deutschen wissen laut einer Umfrage gar nicht, was Pfingsten bedeutet. Das scheint mir sogar eine sehr positive Annahme zu sein. Darüber kann man jammern, klagen, traurig sein. Aber dann zerrinnt uns auch das Evangelium, dann verstellen wir uns die Erfahrung, die das Evangelium nennt: „Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.“

Papst Benedikt XVI. hat vor ein paar Jahren in einer kleinen Meditation zu Pfingsten in Rom etwas sehr Schönes und Hilfreiches gesagt. Er sagte über die erste Lesung des Festes, aus der Apostelgeschichte: „Der hl. Lukas berichtet uns, dass an Pfingsten (…) der Heilige Geist das Feuer war, das die Welt verwandelt hat, jedoch ein Feuer in Form von Zungen, also Feuer, das gleichzeitig auch vernünftig ist, das Geist ist, das auch Verständnis ist (…). Feuer, das mit dem Denken verbunden ist. Und gerade dies intelligente Feuer (…) ist kennzeichnend für das Christentum.“

Die Form von „Zungen“. Das weist auf die Sprache hin, auf die Weise, wie wir unser Denken mitteilen. Auf Verstand und Vernunft. Deswegen besteht auch unsere Freude, die Freude der Jünger, darin, dass wir verstehen und erkennen. Ein „intelligentes Feuer“. Der Heilige Geist ist die Leidenschaft und diese Fähigkeit, gemeinsam die Geschichte zu verstehen, die Welt, wie sie ist, zu erkennen und zu sehen und zu lieben. Als Christen setzen wir keine rosa Brille auf. Wir deuten die brutale und harte Welt, die Schwierigkeiten und Probleme, die wir im Großen der Welt und im Kleinen unseres persönlichen Lebens haben, nicht um. Der Heilige Geist ist aber die Fähigkeit, das Geschenk, das uns hilft, die Dinge und die Geschichte nicht umzudeuten, sondern klar zu sehen, was wirklich war und ist.

So war es bei den Jüngern. Die Leute, die Theologen, die Priester am Tempel, die Verantwortlichen Israels, hatten den Jüngern mit der Hinrichtung Jesus gezeigt: Ihr habt euch in dieser Person Jesus von Nazareth getäuscht. Ihr macht euch etwas vor. Die Sache ist gescheitert. Es ist vorbei. Es war eine schöne Illusion.

Und das war die Freude der Jünger, das waren ihre Begegnungen mit dem Auferstandenen: Dass ihnen die Augen aufgegangen waren. Dass sie sagen konnten. Dieses Scheitern Jesu und seines Anliegens ist gar nicht die Wirklichkeit. Das ist Deutung. Die Fakten sind andere. Sie haben die Sicherheit gewonnen, dass es gerade anders herum ist: Die Welt, sein eigenes Volk, hat Jesus gar nicht richtig erkannt, gar nicht gesehen, wer er wirklich war: der Mund, der Arm Gottes, der Israel wieder herstellen will. „Die Welt hat ihn nicht erkannt, aber wir haben ihn erkannt.“ Das war schon das Staunen, das Paulus erfasst hatte, wie wir es in der zweiten Lesung gehört haben: „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet.“ Das war sein Aufmerken, sein Staunen, seine Freude: An dem Ort, wo der Heilige Geist Raum findet, in der Gemeinschaft der Glaubenden kann man verstehen, erkennen, dass Jesus der Herr ist, der Herr meines Lebens. 

Und so ist es auch mit der Kirche heute: Es liegt ein Schatten auf ihr wie seit Jahrhunderten nicht. Die Skandale machen sie in der Welt, unter unseren Freundinnen beim Kaffee, im Verein, an den digitalen Stammtischen der social media zum Allerletzten, zu dem man heute noch gehören kann, zu etwas total Fragwürdigem. Und im Inneren der Kirche wird sie wie ein Verein angesehen, wie eine Institution, in der es nur um Macht und Einfluss geht, in der man wie in einem Parlament seine Interessen durchsetzen muss und sich Mehrheiten verschaffen muss für die eigenen Vorstellungen, die man von der Kirche hat. Es scheint, dass wenn wir dieser Geschichte treu bleiben, der Kirche treu bleiben, dass wir uns täuschen, dass wir immer noch nicht verstanden hätten wie der Hase läuft und was man wirklich total ändern müsste in der Kirche.

Wir täuschen uns aber nicht. Wir glorifizieren nicht die Kirche und bagatellisieren nicht ihre Sünden und Schwächen. Wir deuten unsere Erfahrungen mit der Kirche und Gemeinde nicht um, verharmlosen nichts. Aber wir verstehen und erkennen. Der Heilige Geist ist die Dynamik, die uns hilft, zu erkennen, zu verstehen und zu sehen, was die Kirche ist, was sie sein soll und wohin der Weg führt. Er ist wie Benedikt XVI. sagt, dieses intelligente Feuer, Leidenschaft und Vernunft. Und dann sehen, wir dass der Glaube nicht im Papierkatholizismus und nicht im Ämterkatholizismus besteht, der sich in Gremien und Aktionismus aufreibt, die nur mit viel Geld bestehen können und in denen Tristesse, Depression, Häme und gegenseitige Vorwürfe dominieren.

Dann erkennen wir: Die Kirche lebt, wo geglaubt wird, dass Gott Gott ist, der Gott Israels der einzige Gott, dass „Jesus der Herr ist“. Die Kirche lebt und ist lebendig dort, in den jeden Tag getanen Diensten und Opfern, in einer echten Frömmigkeit, im Vertrauen auf die Führung Gottes, auch wenn es schwer wird im Leben, auch mit Leiden, Aushalten, Beten, einem Verzeihen ohne Gegenleistung, dem Mittragen einer Last der anderen, der Aufmerksamkeit für den anderen, dem Sich-versammeln immer wieder, das wir nicht aufgeben. Der Heilige Geist klärt uns auf, dass dort die Kirche lebt, dass dort Gottes Volk lebendig und kraftvoll ist, wo so gelebt wird.

Die Wirkung eines solchen Erkennens und Verstehens der Wege des Herrn ist Dankbarkeit, Gelassenheit und Freude. Sie sind Kennzeichen eines vom Gottesgeist aufgeklärten Glaubens. „Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.“

Unser eigenes Christsein und das Gottesvolk so zu sehen, ist keine natürliche Gabe, kein angeborenes Talent und nichts, was man automatisch durch den Taufschein oder durch eine kirchliche Anstellung bekommt und hat. Es ist eine Fähigkeit der Glaubenden, die uns geschenkt wird, wenn wir zusammen sind und bleiben, wie es von der ersten Gemeinde in Jerusalem berichtet wird, der Frauen und Männer, mit der Mutter Jesu in ihrer Mitte. Deswegen sind wir heute, anPfingsten, zusammen zur Eucharistie und deswegen bitten wir gemeinsam genau um diesen Geist.

Pfingstsonntag, 28. Mai 2023 | Stein St. Markus; Jungingen St. Sylvester | Lesungen: Apg 2,1-11; 1 Kor 12,3b-7.12-13; Evangelium: Joh 20,19-23 | Achim Buckenmaier