
Erprobung
Gedanken zum ersten Fastensonntag -
Die Zeit der vierzig Tage vor Ostern war in der frühen Kirche die letzte und intensive Zeit der Vorbereitung der erwachsenen Kandidaten für die Taufe in der Osternacht. Drei Jahre lang lebten die Taufbewerber in den Gemeinden mit, durften an den Wortgottesdiensten teilnehmen, lernten nicht nur Glaubensinhalte, sondern auch ein neues Leben, eine andere Lebensweise als das Leben, das sie vorher gelebt hatten. Deswegen kamen in den Gottesdiensten zwischen Aschermittwoch und Osternacht noch einmal die Kernthemen des Glaubens vor.
Auch an diesem ersten Fastensonntag merkt man das. Die erste Lesung und das Evangelium erzählen von zwei Versuchungen: die erste ist die von Adam und Eva im Paradiesgarten, und die zweite jene von Jesus in der Wüste. Damit war für die Taufbewerber gleich ein Ausrufungszeichen gesetzt. Es sagt: Du wirst in der Osternacht getauft, du wirst Christ, aber denke nicht, dass diese Leben ein Schlaraffenland wäre, ein Spaziergang, dass du gut abgefedert in dem Nest der christlichen Gemeinde landen würdest und nie mehr Probleme haben würdest. Die beiden Versuchungsgeschichten sagen dir: auch du wirst erprobt werden. Auch dein Glaube wird, so oder so, irgendwann einmal auf die Probe gestellt werden.
Beide Erzählungen – die im Garten Eden mit Eva und Adam und die in der Wüste mit dem Teufel und Jesus – sind Legenden, sind Verdichtungen von Erfahrungen. Und beide Geschichten kreisen um die Frage: vertraut der Glaubende wirklich Gott? Vertraut er Gott oder misstraut er ihm?
Adam und Eva bekommen das ganze Paradies, einen wunderschönen Garten, einen Park von Gott anvertraut. Hunderte von Bäumen und Sträuchern, von denen man sich ernähren kann. Ihre Früchte sind köstlich: Oliven, Zitronen, Feigen, Trauben… Eine riesige Streuobstwiese auf orientalisch sozusagen, in deren Mitte nur zwei Bäumen stehen, von denen man nichts nehmen darf. Der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, also der Baum des Wissens, was schlecht und was gut ist.
Was bedeutet dieser Baum der Erkenntnis? Warum darf man an ihn nicht rühren, nichts von ihm pflücken? Jüdische Ausleger haben gesagt: der Baum der Erkenntnis steht für die Torah, für das Gesetz Gottes, für die Gesellschaftsordnung, die Gott seinem Volk Israel gegeben hat. Das heißt: Es gibt inmitten der Welt etwas, über das der Mensch nicht verfügen darf. „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben“, „du sollst den Schabbat halten“, „du sollst nicht falsch aussagen“ … und alle anderen Gebote darf der Mensch nicht anrühren, sie sich nicht zurechtbiegen, sie nicht außer Kraft setzen. Damit das Paradies erhalten bleibt, damit der Mensch in Frieden leben kann, muss er eine Sache respektieren, darf er sich nicht über eine Sache aufschwingen, darf nicht den Herrn spielen: die Gebote Gottes sind der Baum, der unantastbar sein muss.
Wenn wir in die Geschichte der Menschheit schauen, sehen wir, wie wahr das ist. Immer wenn der Mensch an diesen Baum gerührt hat, wenn er selber erkennen und definieren wollte, was gut und böse ist, ist nicht mehr Freiheit und mehr Menschlichkeit entstanden, sondern Gewalt, Terror, Unterdrücken, Leid und Tod. Die atheistischen Totalitarismen haben an den Baum der Erkenntnis gerührt, haben sich zu Gott gemacht und dann selber entschieden, was gut, was böse ist, und dies hieß dann: wer zu dieser oder jener Rasse gehört, welches Leben „lebenswert“ und welches „lebensunwert“ ist usw.
Sie haben den Glauben diffamiert, als ob die Gebote Gottes die menschliche Freiheit verringere und einschränke. Deswegen argumentiert die Schlange und sagt: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Schlange verdreht die Worte Gottes, der ja etwas ganz anderes gesagt hatte: Von allen Bäumen im Garten dürft ihr essen…
Die Frucht der Verdrehung, der Verzerrung der Wahrheit ist Misstrauen. Aus Gott, der sich rührend um die ersten Menschen kümmert, wird in den Augen von Adam und Eva ein Gott, der ihnen etwas vorenthält, wird ein missgünstiger, geiziger Gott.
Auch das Evangelium kennt diese Taktik. Jesus zieht sich in die Wüste zurück; er spürt, dass er dort seinen Auftrag verstehen muss. In der Wüste trifft er auf den Teufel. Unser Wort Teufel kommt genau von dem Wort, das an dieser Stelle im griechischen Evangelium steht: von diábolos. Diabolos heißt „Verwirrer“. Er ist der, der alles durcheinanderbringt, der verdreht, verleumdet. Jesus geht diesem Verwirrer nicht auf den Leim, obwohl der Diabolos sogar wíe ein Theologe mit der Heiligen Schrift argumentiert. Jesus lässt sich nicht vom Vertrauen auf Gott abringen, nicht von der Anerkennung Gottes, der allein angebetet und verehrt werden kann. Auch der Teufel lockt, wie die Schlange. Beide Male, im Paradiesgarten und in der Wüste sind es Versuchungen, Verlockungen, sich selber zum Herrn über das eigene Leben und über die Welt zu machen. Es sind Versuchungen oder wie wir verständlicher sagen könnten: Erprobungen.
Der erste Fastensonntag sagt den Katechumenen, den Taufbewerbern – und damit auch uns: Es wird auch im Leben der Glaubenden Erprobungen geben. Gott kann deinen Glauben stärken wollen, groß und weitherzig und mutig machen wollen, vertiefen wollen, indem er dich erprobt: Etwas kommt in deinem Leben quer, etwas verstehst du partout nicht. Eine tiefe Enttäuschung stellt sich ein, mit dem Partner oder den Kindern. Eine seelische Verletzung, die dir jemand zufügt. Eine Traurigkeit. Eine Krankheit, die dich aus der Bahn wirft. Eine berufliche Niederlage.
Und dann steht die Frage auf: Denkst du, Gott nimmt dir etwas weg? Hält dir etwas vor, was er anderen freigiebig schenkt? Denkst du im Herzen: Gott behandelt mich ungerecht? Er gibt mir nicht alles…? Oder siehst du die Schwierigkeit, das, was dein Leben verändert, als eine Erprobung an, mit der Gott dich mehr zu sich führen will, mit der er deinen Glauben stärken will? Ich glaube an Gott nicht, weil er mir dies oder jenes gibt. Ich vertraue ihm und seiner Güte, einfach weil er Gott ist, weil er der Herr der Welt und ihr Schöpfer ist.
Der erste Fastensonntag: der Sonntag der Versuchungen. Es ist der Sonntag der Erprobung unseres Glaubens. Er hilft uns, mit Jesus zusammen das, was uns begegnet in unserem Leben, als Probe, als Sprungbrett zu sehen, Gott zu vertrauen.
Erster Fastensonntag, 26. Februar 2023: Lesungen: Gen 2, 7-9; 3,1-7; Röm 5,12-19; Evangelium Mt 4,1-11. Achim Buckenmaier