Furchtlos

Christmette 2024 - Homilie:

Die Corona-Pandemie liegt nun schon mehr als drei Jahre zurück. Sie kommt einem wie eine unwirkliche und weit entfernte Zeit vor. Aber sie behält Lehren für uns, die nicht vergehen müssen. Im Rückblick eines Philosophen auf dieser Zeit habe ich etwas Bemerkenswertes gelesen. Dieser zeitgenössische Denker, der sich selber als nicht gläubig und als Atheist bezeichnet, schrieb in einem Zeitungsbeitrag: Speziell von den Kirchen, habe ich eines vermisst. Dass aus den Kirchen das Wort erklungen wäre: „Fürchtet euch nicht!“

Und in der Tat, wenn wir zurückblicken, sehen wir, dass ein solches Wort von den Bischöfen, aber auch von uns selbst gefehlt hat für unsere Zeitgenossen: „Fürchtet euch nicht!“ Wir haben zurecht die staatlichen Regeln eingehalten und alle möglichen Vorgaben berücksichtigt, die vernünftig waren. Aber es scheint, wenn man zurückschaut, dass auch uns Christen die allgemeine Panik erfasst hat, die unsere Gesellschaft ergriffen hatte. Die Angst um die Gesundheit, die Angst vor allem vor den anderen, die Angst von jedem Kontakt mit anderen Menschen, die Angst um unser eigenes Leben.

Bisweilen schien es, dass die Sakramente, vor allem der Gottesdienst, die Heil und Leben vermitteln, von denen der Christ lebt, dass diese geradezu zu Gefahrenzonen für das Leben geworden wären. Der atheistische Philosoph hat den Finger auf die Wunde gelegt. Wir Christen haben gefehlt als solche, die mutig genug sind, zu sagen: „Fürchtet euch nicht!“

Wenn man in die Heilige Schrift aus Altem Testament und Neuem Testament hineinschaut, dann sieht man jedoch: Die Aufforderung „fürchtet euch nicht!“ ist ein zentrales Wort der Bibel, auf allen Seiten und zu allen Zeiten. Dieses Wort, mal im Singular an eine einzelne Person gerichtet, mal in der Mehrzahl an mehrere, kommt über 200 mal in der Bibel vor. Auch die Hirten, von denen wir im Evangelium dieser Nacht lesen, hören es. Der Evangelist Lukas stellt nüchtern fest, dass die erste Reaktion der Hirten dieselbe ist wie die, die uns vor Jahren erfasst hat. „Sie fürchteten sich sehr“, so beschreibt er ihre erste Reaktion, als die Herrlichkeit Gottes sie umstrahlt und Engel zu ihnen sprechen.

Vor allem Angst und Furcht scheinen eine allgemein menschliche Haltung zu sein. Vor allem, was Neues ist, unbekannt und fremd. Wir fürchten uns vor dem, was wir nicht kennen, aber fürchten uns auch – da ist die Bibel unbestechlich klar – fürchten uns vor Gott und vor allem vor seiner Nähe. Die Hirten fürchten sich ja nicht vor etwas Dunklem und Schrecklichem, sondern, so sagt es Lukas, vor dem Licht der Herrlichkeit Gottes, vor der Erkenntnis, dass er da ist und Gott Gott ist.

Wie reagiert nun Gott auf diese Beklemmungen unserer Herzen, auf unsere Engstirnigkeiten? Den Hirten wird gesagt, sie bekommen ein Zeichen. Sie finden ein Kind, ein Neugeborenes, in Windeln gewickelt. Also da ist etwas, jemand, vor dem sich niemand fürchten muss. Vor einem kleinen Kind in Windeln, das ist mehr als hilflos und wehrlos. Niemand braucht Angst vor einem kleinen Kind zu haben. Das ist ein Zeichen, ein Hinweis Gottes, wie er es macht, unsere Furcht zu überwinden.

Das Kind ist klein und braucht wie jedes Kind Hilfe, damit es überleben kann. Der Retter der Welt, der Heiland, muss selber gerettet werden. 

Das ist das Signum der Geschichte Gottes mit den Menschen. Gott überrumpelt uns nicht er zwingt uns nicht. Seine Sache, sein Anliegen, ist immer klein und unscheinbar. Heute ist auch seine Kirche klein. Die Christen sind wenige geworden. Die, die getauft sind, versammeln sich nicht mehr. Die Zeit, in der die Kirche mit großem Trara, sozusagen im Triumphwagen durch die Geschichte gefahren ist, sind vorbei. Die Kirche ist klein geworden durch die Skandale, die sich in ihrer Mitte breitgemacht haben. Sie ist klein geworden durch ihre Überheblichkeit. Sie ist geringer geworden, weil denkende und kritische Menschen vielleicht fromme Formeln gesagt bekommen, aber keine tragfähigen Antworten, weil die jungen das Leben suchen, die Freude und Glück suchen, es der Kirche nicht mehr zutrauen. Die Kirche ist unbedeutend und ungenießbar geworden durch uns, wenn wir vielleicht engagiert, aber unzufrieden sind und nörgeln, weil es nicht mehr so ist wie vor 20 Jahren oder weil sie sich nicht in die Richtung reformiert, die wir für richtig halten, weil wir über alles urteilen, und der Kirche selber ihre Schönheit und Kraft nicht mehr glauben. 

In diese Furchtsamkeit hinein sagen die Engel auch für uns das entscheidende Wort: „Fürchtet euch nicht!“ und sie geben gleichzeitig auch den Grund an, warum es unsinnig und ungläubig ist, sich so zu fürchten. Die Engel verheißen: „Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“

Wenn wir Gott zutrauen, dass er da ist, dass er um uns wirbt, dass er mein und dein Leben behütet, dann ist es begründet, heilsam und vernünftig, sich nicht zu fürchten, dann gibt es Frieden, vor allen Dingen Frieden in uns, in unserem Denken, in unserem Herzen. Und das ist die Chance für den Frieden in der Welt. Wir, die Getauften, die Christen, sind zu allererst verantwortlich für den Frieden. Und er geht immer dann von uns aus, wenn wir uns nicht fürchten, nicht um uns selbst fürchten und nicht vor der Nähe Gottes fürchten, sondern ihn hereinlassen jeden Tag als Realität unseres Lebens. Das meint das Wort „Heute ist euch in der Stadt David der Retter geboren.“ Aus der Geschichte, die im jüdischen Volk begonnen hat, aus Israel, aus Bethlehem und Jerusalem kommt uns Hilfe zu. Und dieses Heute kann jeder Tag sein. 

Wir sind vielleicht jeden Tag bombardiert mit Vorwürfen gegen die Kirche. Wir hören vielleicht am Stammtisch, unter den Kolleginnen, beim Training oder beim Kaffeekränzchen, dass diese Geschichte doch das allerletzte in der Welt wäre, dass sie verbraucht wäre, dass sie sich selbst desavouiert hätte. Die Influencer rauf und runter in den sozialen Kanälen versprechen uns, dass alles besser wäre als die Kirche und der Glaube: grenzenloser Spaß, fun, eine tolle Figur, ein Traumprinz. Besser sich auf die Straße zu kleben, als in der Kirchenbank zu hocken. Sie machen uns zu followern einer Konsumspirale, die kein Ende kennt.

Eine Welt, in der nur noch der Mensch das Ziel ist, die ohne Gott und seine Geschichte auskommen will, eine solche Welt zerreibt sich in Konkurrenz um die besten Plätze. Sie reibt den Menschen auf im Kampf um das Mehr, in dem der andere immer der Feind ist. Eine solche Welt muss voll Misstrauen gegen andere sein und voll Furcht vor dem anderen, dass er nicht besser ist, schneller, schöner, erfolgreicher. Eine solche Welt ist wahrlich zum Früchten.

Es ist nicht leicht, dem etwas entgegen zu halten. Es geht auch nicht mit Worten. Es geht nur mit dem Experiment des eigenen Lebens. Ich lebe anders. Ich habe keine Angst, ich fürchte mich nicht, zu einer Minderheit zu gehören ja, im Gegenteil, ich bin stark und selbstbewusst, weil ich etwas Einzigartiges gefunden habe, so wie die Hirten das Kind oder die Könige aus dem Morgenland. Genauso empfinde ich.

Heute wird jedem und jeder von uns gesagt, wird dir und mir gesagt: Fürchte dich nicht. Du kannst dich verlassen. Du kannst vertrauen. Es ist gut, menschenfreundlich und vernünftig, Gott und seiner Geschichte zu glauben, Christ zu sein und an dieser Sache, am Glauben, an der Kirche teilzuhaben. Es kann heute Abend beginnen, jetzt, wenn wir diese Eucharistie feiern.  

Christmette, 24. Dezember 2024 | Burladingen St. Fidelis; Lesungen: Jes 9,1-6; Tit 2,11-14; Evangelium: Lk 2,1-14; Achim Buckenmaier