Glaube in Germanien
Dritter Advent (C) - Homilie:
Die Stadt Frankfurt am Main ist zweifellos eine der bedeutendsten Metropolen in Deutschland. Frankfurt ist Sitz der deutschen Bundesbank, der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Börse. Es ist die einzige deutsche Großstadt, die eine wirkliche Skyline von Hochhäusern hat. Am Mittwoch der vergangenen Woche hat die Stadt Frankfurt aber dadurch überrascht, dass sie eine Erklärung herausgegeben hat, die nichts mit Wirtschaft und Finanzen zu tun hat, sondern mit dem christlichen Glauben. Es ging um einen archäologischen Fund.
2018 wurde in Frankfurt unter anderem das Grab mit dem Skelett eines Mannes aus römischer Zeit gefunden, ungefähr vom Anfang des dritten Jahrhunderts nach Christus. Unter dem Kinn des Mannes fand man ein kleines Silberamulett, das er wahrscheinlich um den Hals getragen hat. In diesem Amulett, einer kleinen Kapsel, war eine hauchdünne Silberfolie mit einem Text. Sechs Jahre hat es gedauert, bis man den Text mit Hilfe einer Computertomographie entziffern konnte. Der Text hat 18 Zeilen und ist das Bekenntnis eines gläubigen Christen. Ein Mann, der vielleicht um das Jahr 250 gestorben war und in Frankfurt lebte, war Christ.
Dieses Amulett ist das älteste Zeugnis dafür, dass es schon im zweiten und dritten Jahrhundert Christen nördlich der Alpen gab. Es ist das älteste Zeugnis, das bisher gefunden wurde, für unseren Glauben in unserem Land. Eine echte Überraschung, dass es schon viel früher Christen in Germanien gab, als bisher gedacht.
Zwei Dinge sind daran bemerkenswert:
Anders als in anderen frühen Texten gibt es in diesem kleinen Dokument keinen Hinweis auf eine Vermischung mit Elementen der germanischen Religionen. Es ist ein rein christlicher Text, der sich nur auf den Gott Israels, den Gott Jesu bezieht, indem er aus dem Propheten Jesaja zitiert: „Heilig, heilig, heilig“. Der zweite Teil stammt ganz aus dem Philipperbrief, aus dem wir heute die zweite Lesung gehört haben. „Vor Jesus sollen sich alle Knie beugen, die himmlischen und die irdischen und jede Zunge bekenne sich zu Jesus Christus.“
Und als zweites: Ende des zweiten Jahrhunderts, Anfang des dritten Jahrhunderts trägt ein Mann in Germanien als Schutz einen Text mit sich, der im Jahr 50 n. Chr. vom Apostel Paulus an eine griechische christliche Gemeinde geschrieben wurde. Dieser unbekannte Mann war ein gläubiger Christ. Er lebte viele hundert Kilometer von Philippi und den Ursprüngen des Christentums entfernt. Vielleicht hat er sich mit dem Schmuckstück um den Hals als Christ geoutet, vielleicht hat er es auch geheim getragen unter seinem Hemd. Die Kapsel ist ja nur 3,5 cm groß. Er war Christ in einer Zeit, in der das Christentum noch starken Repressalien ausgesetzt war. Die stärksten Verfolgungen durch die römischen Kaiser mit Gefängnis, Folter, Ermordung standen noch bevor.
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Der Text zitiert also aus dem Philipperbrief, den wir heute als Lesung gehört haben. Das Thema dieses kurzen Ausschnittes ist eindeutig die Freude. „Freut euch im Herrn zu, jederzeit! Noch einmal sage ich euch: freut euch! Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und fliehend. Eure Bitten mit Dank vor Gott!“
Es ist doch außergewöhnlich, dass ein Mensch, der Christ ist unter Lebensgefahr, der Christ ist als Teil einer winzigen Minderheit in mitten einer feindlich gesinnten Gesellschaft, dass sich ein solcher Menschen freuen kann, dass er sich dazu bekennt, dass es nur einen gibt, vor dem man das Kniebeugen muss und kann, ohne dass man erniedrigt wird, dass dieser eine Jesus ist.
Der Text auf dem Amulett gibt den Hinweis, warum es so ist. Da heißt es: „Der Herr der Welt widersetzt sich nach Kräften allen Rückschlägen…“
Der Herr der Welt, das ist Gott, und der Text bekennt sich zu ihm, als zu dem Gott, der der Herr der Welt ist, nicht der römische Kaiser und seine Armeen deren Arm bis nach Germanien reicht. Der Philiperbrief verkündet nicht eine diffuse Freude. Es ist nicht das Lebensgefühl eines Lebenskünstlers und Optimisten oder Leichtsinn, der die Augen vor der eigenen Not, den Schwierigkeiten und Gefahren und Problemen verschließt. Es ist ein Bekenntnis zum Handeln Gottes, dass Gott da ist, und nicht einfach fern im Himmel auf einer Wolke sitzt, sondern dass er der Herr der Welt ist und handelt. Er hat gehandelt, in der Geschichte Israels und in der Geschichte Jesu und handelt auch in der Geschichte der Kirche.
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Heute ist immer noch an der Kirchentür, an den Glastüren am Haupteingang das sogenannte „Manteldekret“ angeschlagen, in dem der Bischof die Zusammenlegung der 37 Pfarrei des Dekanates zu einer einzigen Pfarrei zum Jahr 2026 an, ordnet und erklärt. Es ist ein äußerst kluger, kenntnisreicher und zugewandter Text, der nicht nur rechtlich korrekt sein will, sondern erklären will und um Verständnis werben will unter uns.
Freilich, wenn man ihn liest – und es lohnt sich, sich Zeit zu nehmen, ihn zu lesen – bleibt eine gewisse Ernüchterung zurück. Es wird viel verglichen mit früher. Das wird viel von Abbau und Niedergang geschrieben: Es gibt weniger Priester, weniger Gläubige, weniger Gläubige im Gottesdienst und sofort.
Vielleicht kommt eine Sache etwas zu kurz: Es ist viel von dem die Rede, was wir Menschen machen, wo Menschen weggehen und sich vom Glauben abwenden, und was Menschen dagegen tun können, wie wir als Kirche darauf reagieren. Es fehlt vielleicht etwas die Ahnung, dass in alldem Gott an uns handelt.
Der Amulettfund in Frankfurt zeigt uns doch, wie lang diese Geschichte des Glaubens in unserer Heimat ist, mindestens 1800 Jahre. Der Beginn lag in einer Zeit, in der das Christentum weder einflussreich noch gesellschaftsprägend war, sondern winzig, eine Minderheit, verfolgt und diffamiert. Danach folgten der Aufstieg zur Reichs- und Massenkirche, dann die Aufklärung, die vieles in Frage stellte, die Säkularisation mit dem Verlust der materiellen Güter der Kirche, die Verirrungen des Nationalismus, die Schoa…. Die unglaublich lange Geschichte einer Sache, die älter ist als jeder Verein und überlebensfähiger als jede Wolfspopulation.
Wenn man auf diese lange Geschichte blickt, dann findet man vielleicht das Vertrauen, auch in dem, was traurig macht oder als Verlust und als Niedergang erscheint, die Stimme Gottes zu hören und das Handeln Gottes zu erkennen. Es ist vor allen Dingen eine Stimme, die uns zum Glauben und jeden und jede von uns zur Umkehr auffordert, so wie es die Stimme des Täufers Johannes getan hat.
Das kann der Bischof nicht verordnen per Dekret, das kann er von niemand verlangen. Das kann man nur selber tun. Umkehr d.h. für uns wohl vor allem Treue, dass wir diesem Volk die Treue halten, und Sonntag für Sonntag ganz konkret hier in diesem Raum die Nähe der anderen suchen und nicht glauben, allein zu sein und allein zurecht zu kommen oder Wichtigeres zu tun haben, oder die Zukunft der Kirche in Sitzungen zu finden. Dass wir stattdessen auf die Geschichte schauen und auf die Brüder und Schwestern schauen und sie suchen, das ist das, was Paulus meint, dass wir „betend und flehend unsere Bitten mit Dank vor Gott bringen“. Nur dadurch hat die Kirche überlebt und ist gewachsen, von dem unbekannten Christen im Frankfurt des 3. Jahrhunderts bis zu uns heute. Das ist ein Grund für Dank und Freude.
Ein Christentum, das die Entwicklungen, die das Dekret des Bischofs beschreibt, nur hinnehmen und ertragen würde, ist zum Aussterben verurteilt. Das Urteil wäre schon gesprochen. Christen ohne Freude sind Christen ohne Gott.
Wenn wir auf diese Geschichte blicken, danken, uns freuen, dann sind die Sorgen nicht weggeblasen, die Nöte nicht gelöst, die Herausforderung und Prüfungen nicht verschwunden. Aber weil Gott schon gekommen ist in seiner Geschichte, kann es unter uns die Freude geben. Deswegen feiern wir diese Eucharistie, das heißt: Danksagung.
Bitten. Dank. Freude.
3. Advent C, 14/15. Dezember 2024 | Burladingen St. Fidelis; Hechingen St. Jakobus | Lesungen: Zef 3,14-17; Phil 4, 4-7; Evangelium: Lk 3,10-18 | Achim Buckenmaier
Anhang: Übersetzung des lateinischen Textes der "Frankfurter Silberschrift":
»Im Namen(?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).«