Zu große Worte?

2. Sonntag im Jahreskreis  (Lesejahr C) - Homilie:

Alle drei Texte, die heute als Lesungen und als Evangelium vorgetragen wurden, sind dadurch geprägt, dass sie ungemein große Worte verwenden, Worte, die für unser Leben ein bisschen wie zu große Schuhe aussehen.

Der Prophet Jesaja spricht vom Volk Gottes als einer prächtigen Krone in der Hand des Herrn, von einer Gruppe von Menschen, an der Gott gefallen hat. Er spricht von Israel als der Braut Gottes, die er begehrt und liebt.

Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth verwendet nicht weniger großartige Worte: Er spricht von Gnadengaben, von der Offenbarung des Geistes, von Glaubenskraft, von Prophetie und der alles durchdringenden und heilenden Wirkung des Heiligen Geistes.

Und zuletzt im Evangelium mit dieser Hochzeitsgeschichte ist von der Offenbarung der Herrlichkeit Jesu die Rede und vom Glauben an Jesus, zu dem die Jünger finden.

Vor über 80 Jahren war der junge Hans Scholl, der Bruder von Sophie Scholl und Motor der "Weißen Rose", als Soldat in Russland. Am 17. August 1942 notierte er in sein Tagebuch: „Es zieht mich manchmal schmerzlich hin zu einem Priester, aber ich bin misstrauisch gegen die meisten Theologen, sie könnten mich enttäuschen, weil ich jedes Wort, dass aus ihrem Mund kommt, schon vorher gewusst hatte.“

So scheint es mir auch mit diesen Worten aus den biblischen Lesungen zu sein, die wir heute gehört haben. Es sind Worte, die man in der Kirche erwartet. Herrlichkeit, Glaube, Geist, Offenbarung – die erwartet man förmlich in der Kirche und im Gottesdienst, aber gleichzeitig enttäuschen sie, weil sie so riesig erscheinen und mit unserem Leben offensichtlich so wenig zu tun haben. Und das ist deswegen das Schicksal vieler solcher Texte: Sie rauschen an uns vorbei oder wir stellen auf Durchzug, sie gehen in das eine Ohr rein und in das andere hinaus.

Wir dürfen uns aber nicht täuschen. Hinter diesen großen Worten stehen konkrete Erfahrungen und Realitäten. Gerade in der ersten Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja wird dies deutlich. 

Dieser Text stammt aus der Zeit, in der das jüdische Volk beziehungsweise eine Gruppe in ihm aus dem Exil in Babylon in seine jüdische Heimat zurückkehrte, in das Land Kanaan, zwischen Mittelmeer und Jordan. Die Hoffnungen waren riesig. Die Zeit der Deportation und der Zwangsarbeit war vorbei. Und jetzt sollte eine neue Zeit der Blüte und der Freiheit anbrechen. Was diese Menschen aber in ihrer alten Heimat antrafen, waren nicht blühende Landschaften, sondern Städte und Dörfer, die in Ruinen lagen, und Felder, die verwüstet und brachlagen, trocken, ausgeplündert, über Jahre nicht bebaut.

Dem Korintherbrief ist eine ähnliche Situation vorausgegangen. Paulus schreibt an diese Gemeinde von Christen nicht, weil sie so wunderbar waren und so großartig lebten. Er schreibt ihnen, weil Streit zwischen ihnen herrscht, Vergleichen, Unzufriedenheit, Unfrieden und Ungerechtigkeit.

Und wenn man das Evangelium liest, diese Geschichte vom Weinwunder während einer Hochzeitsfeier in dem Örtchen Kana, darf man auch sehr realistisch denken. Alles, was von Jesus erzählt, wird ereignet sich in einem unglaublich kleinen Radius. Die Taufe Jesu am Jordan, an die wir uns am vergangenen Sonntag erinnert haben, sein Leben in Nazareth als junger Handwerker, und jetzt diese Hochzeitsfeier, alles das spielt in einem Umkreis von zehn, zwanzig Kilometern, nicht mehr. Es sind Distanzen, die nicht wesentlich größer sind als die zwischen unseren Ortschaften, die unsere größer gewordene Pfarrei bilden werden. Und alles geschieht nicht im Zentrum der damaligen Welt, in Rom oder sonst einer kulturellen Metropole, sondern auf dem Land, in einer angelegenen Provinz, abseits von den Meinungsführern und kulturellen Schaltstellen.

Was ist nun das Besondere an diesen Erzählungen und Texten?

Das Einzigartige in dieser Geschichte ist, dass das jüdische Volk gelernt hat, dass inmitten dieser Armseligkeiten und Erbärmlichkeiten sich das Entscheidende in der Welt vollzieht. Es ist die Geschichte Gottes, der sich ein Volk erwählt und der mit ihm einen Weg geht, einen Weg des Versuchs und des Irrtums und der Korrektur. Das Erstaunliche daran ist, dass Gott eine Gruppe von Menschen gefunden hat, die ihn ernst nehmen, die mit seiner Existenz rechnen, die seine Gebote als Verpflichtung und Hilfe akzeptieren, und die immer wieder versuchen, nach ihnen zu leben und mit Ihnen eine Gesellschaft zu formen, die gerecht und frei ist.

Immer wieder haben sie versagt, haben wie alle anderen Völker auf Könige und Politik vertraut, aber immer wieder haben sie sich durch Niederlagen, Katastrophen und durch das Wort ihrer Propheten zurückrufen lassen, in dieses Vertrauen, in diesem Glauben, in diese Sicherheit, dass der Weg mit diesem Gott und seinen Weisungen der beste ist, den sie gehen können.

Die Juden haben unablässig die Zehn Gebote übersetzt in ihren Alltag hinein, in viele Regeln und Anweisungen, für das Essen, für den Umgang mit Besitz und Geld, für den Umgang mit Sexualität, Steuern, Erbschaften und sofort. Sie haben sozusagen Gott erlaubt, seine Nase in alles hineinzustecken, was unser Leben ausmacht und es von ihm her kritisch befragen und verändern zu lassen. Sie sind nicht in Spiritualität und Philosophie ausgewichen, sondern haben sich den alltäglichen Fragen und Mühseligkeiten gewidmet. 

Nur beim Backen und Kochen gibt es Rezepte. Im Leben aus dem Glauben an Gott gibt es keine Rezepte, nur ein neues Ausprobieren und Erfahren, dass der Boden des Glaubens trägt. Jede Schwierigkeit und jedes Versagen waren Anlass, neu nachzudenken und zu fragen, was Gott sagen will und wie er die Welt verändern, verbessern, reparieren kann. Und deswegen konnten die Propheten, konnte Paulus und konnte Jesus diese gewaltigen Worte sagen, dass sich darin der Geist Gottes zeigt, seine Liebe wie zu einer Geliebten oder einer Braut, seine Herrlichkeit, seine Gegenwart.

Nicht in Hörsälen oder großen Programmen, sondern in der Kleinheit einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft irgendwo in einem Dorf hat Jesus das gezeigt, dass Gott großzügig ist in seiner Geschichte. Diese Worte scheinen groß zu sein, zu groß, oder zu enttäuschen, weil man sie schon oft gehört und kennt. Bei Lichte betrachtet sind sie neu und unbekannt.

Vielleicht können wir das heute aufnehmen, dass er auch in unserer Zeit da ist, in den offenen Fragen, Unsicherheiten und an den Bruchstellen unsere Geschichte als Kirche und das Christen in unserem Land, jetzt im Jahr 2025. Und auch in unserem persönlichen Leben. Dass das Vertrauen auf ihn die Schwierigkeiten und Probleme nicht wegbläst und uns nicht in ein Schlaraffenland versetzt, aber dass er unser Leben verändern kann und dass wir es leben können als Glaubende, die wissen, dass sie beschenkt sind, im Großen wie im Kleinen, dass er das Wasser unserer Alltäglichkeit in den Wein, der Freude verwandeln kann, der Freude und der Dankbarkeit, dass wir in sein Volk gerufen sind, dass wir getauft sind und dass wir mit ihm leben dürfen.

Das ist der Inhalt jeder Eucharistie. Das griechische eucharistein heißt danksagen. Gott Dank sagen für seine Geschichte. Auch jetzt und hier.

2. Sonntag im Jahreskreis (C) 18./19. Januar 2025 | Burladingen St. Fidelis, Gauselfingen St. Peter und Paul, Hechingen St. Jakobus  |  Lesungen: Jes 62,1-5; 1 Kor 12,4-11; Evangelium: Joh 2,1-11  |  Achim Buckenmaier