Glaube als Gerechtigkeit
Homilie zum Fest der Taufe des Herrn -
Wir sind noch ganz am Anfang des Jahres. Die Kirche setzt weniger auf unsere guten Vorsätze, die wir uns jedes Neujahr vornehmen und die ja bekanntermaßen ziemlich schnell vergessen werden. Die Kirche nimmt uns stattdessen mit dem heutigen Fest der Taufe des Herrn, der Taufe Jesu, in das Leben Jesus von Nazareth hinein, in seine Lebensgeschichte und seinen Beitrag zur Rettung der Welt.
Aber die Taufe Jesu ist nicht eine kleine, schöne biographische Episode. Matthäus, aus dessen Evangelium wir heute diese Erzählung der Taufe gehört haben, gibt ihr in einem Wort Jesu die entscheidende Deutung und das entscheidende Wort. Zu Johannes dem Täufer, der zögert, Jesus zu taufen, sagt er:
„Lass es nur zu! Denn so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.“
Die Taufe ist für Jesus ein Akt der Gerechtigkeit. Oder besser: Mit der Taufe beginnt für Jesus ein Leben, in dem er die Gerechtigkeit Gottes erfüllen kann. Mit der Taufe beginnt dieser Auftrag, Gerechtigkeit zu tun.
Gerechtigkeit üben ist ein alter Auftrag, der ursprüngliche Auftrag, den das Volk Jesu von Gott selber bekommen hat. Wenn Sie recht hingehört haben, durchzieht dieses Wort von der Gerechtigkeit alle Texte der heutigen Liturgie. Es zieht sich wie ein roter Faden durch alle Texte.
Die erste Lesung spricht von einem „Knecht Gottes“, also einem Diener, der Gott und seine Sache in Israel vertreten soll, der Israel an seine Aufgabe in der Welt erinnert. Und da kommt dieses Wort „Gerechtigkeit“ gleich mehrfach und in mehreren Schattierungen vor. Mishpat, Tora und Zedakah sind die hebräischen Worte, die der Prophet hier verwendet.
„Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze;
das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen.
Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt,
er bringt den Nationen das Recht. (…)
ja, er bringt wirklich das Recht. (…)
Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt,
bis er auf der Erde das Recht begründet hat.
Auf seine Weisung warten die Inseln.
Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen…“
Der Knecht Gottes, der Bote Gottes, bringt Recht. Er steht dafür ein, dass es Gerechtigkeit gibt. Er zeigt dem Gottesvolk von neuem die Torah, die Weisung, das Gesetz Gottes, und den Völkern zeigt er wie in einem Gerichtsurteil, wer der wahre Gott ist und was die falschen Götter sind. Diese Gerechtigkeit, so deutet es das hebräische Wort zedakah, ist eine Wohltat Gottes. Gerechtigkeit Gottes ist genau das Gegenteil von einem kaltem Urteil. Der gerechte Gott ist nicht ein anderer als der erbarmende, barmherzige, liebende Gott. Seine Gerechtigkeit ist das eigentliche Erbarmen.
Und auch in der zweiten Lesung, in der Apostelgeschichte, in der Rede des Petrus, kommt das Wort wieder vor. Petrus sagt es klar:
Gott ist „in jedem Volk willkommen,
wer ihn fürchtet
und tut, was recht ist“.
Tun, was recht ist, das ist die Erfüllung des Auftrags der Glaubenden, der Gottesfürchtigen.
Und auch im Tagesgebet, am Anfang der Messe heute, haben wir genau darum gebetet:
„Gib, dass auch wir,
die aus dem Wasser und dem Heiligen Geist wieder geboren sind,
in deinem Wohlgefallen stehen
und als deine Kinder aus der Fülle dieses Geistes leben.“
Als Kinder aus der Fülle des Geistes Gottes leben, das ist das Entscheidende.
Die Stichworte „Gerechtigkeit üben“, „recht leben“ sind also die Überschriften, die uns die Liturgie des heutigen Festtages für das neue Jahr mitgibt.
Die Bibel, und darin die Erfahrungen des Gottesvolkes aus Israel und der Kirche, sind also sehr nüchtern.
Unsere Fähigkeiten zu lieben, immer freundlich zu sein, miteinander harmonisch umzugehen, sind doch sehr begrenzt. Wer ehrlich mit sich selbst ist, weiß das nur zu gut. Liebe, Sympathie, Harmonie, gegenseitiges Verstehen – das sind alles sehr volatile Haltungen. Sie kommen und gehen. Die Liebe kann erkalten. Die Sympathie löst sich auf, wenn man einmal von einem anderen verletzt wurde, wenn wir an die Schwächen der anderen denken, dass sie immer das Gleiche sagen, immer meckern, nie zufrieden sind. Harmonie verschwindet auch unter uns Christen, wenn wir uns daran erinnern, was wir uns vielleicht schon einmal angetan haben in unserem Leben, wo wir einander etwas schuldig geblieben sind, wo wir beleidigt oder missverstanden wurden.
Die Bibel ist sehr nüchtern und fordert nicht Sympathie, sondern Gerechtigkeit. Die Liebe und das Erbarmen ist, dass wir einander gerecht begegnen. Das heißt, dass wir den Balken im eigenen Auge zuerst sehen, nicht den Splitter im Auge des anderen. Dass wir schlicht ihm das zukommen lassen, was er braucht, um auch glauben zu können, dass auch er – durch uns – an die Güte Gottes glauben kann. Gerechtigkeit ist, dass wir die Wahrheit lieben und sie uns zutrauen. Wieviel Gerüchte und Meinungen nehmen wir einfach vom Hörensagen, aus dem Internet, aus der Zeitung, dem Fernsehen, aus Tratsch und Klatsch zwischen uns, ohne dass wir sie überprüfen, ohne dass wir wirklich der Wahrheit auf den Grund gehen. Kritisch mit dem umgehen, was andere sagen und die allgemeine sogenannte „öffentliche Meinung“ ist, der Wahrheit verpflichtet sein, ist Gerechtigkeit und ist eine Wohltat.
Und auch Gott lieben wir nicht mit Gefühlen und schönen frommen Gedanken. Der jüdische Rabbi Jehoshua Leibowitz hat es so gesagt:
„Der Glaube besteht nicht darin, dass ich etwas über Gott weiß, sondern darin, dass ich etwas über meine Pflichten gegenüber Gott weiß. Der Glaube, der darauf gegründet ist, dass ich über Gott Bescheid wüsste, ist Götzendienst. Gott ohne [Gerechtigkeit] ist immer ein Götze.“
Wenn ich um die Pflichten gegenüber Gott und meinen Nächsten weiß, weiß ich auch am meisten über den Gott, den uns Israel und der Knecht Gottes, Jesus von Nazareth, zeigten, von dem er erzählte und vom dem er so erfüllt war, dass wir ihn den „geliebten Sohn“ Gottes nennen dürfen.
Deswegen sind wir hier zusammen, wie jeden Sonntag. Wir brauchen dieses Zusammenkommen jeden Sonntag, auch im kommenden Jahr. Wir können uns nur gegenseitig helfen. Wir können uns ermutigen und korrigieren, damit wir lernen, was die Gerechtigkeit Gottes ist. Sie ist Wahrheit und Aufklärung darüber, wie die Welt läuft und wie wir sind. Sie ist eine Wohltat. Am deutlichsten wird es hier, wenn wir durch die Schrift auf den „geliebten Sohn“ hören und wenn wir annehmen, dass wir hier als Schwestern und Brüder am Tisch Gottes sitzen dürfen, jetzt, in der Eucharistie, die wir feiern.
Fest der Taufe des Herrn A – 7./8. Januar 2023
Lesungen: Jes 42,5a.1-4.6-7; Apg 10, 34-38; Evangelium: Mt 3,13-17
Stetten St. Johannes; Hechingen, St. Jakobus
Achim Buckenmaier