Kleine Episode - große Lehre

14. Sonntag im Jahreskreis (B) - Homilie:

Das Evangelium dieses Sonntags führt uns wieder aus unserer kleinen Welt nach Israel, nach Erez Israel, nach Nazareth, der Heimatstadt Jesu, nach Galiläa in den Norden des Landes, genau dahin, wo in diesen Wochen die jüdische Bevölkerung vor den Drohnen und Raketen der Hizbullah aus dem Libanon fliehen muss. 60.000 Leute haben schon ihre Dörfer und Häuser verlassen müssen, weil ihnen diese Terrororganisation das Recht auf Leben abspricht, den Staat Israel ganz unverhohlen vernichten will, ihre Häuser zerstört und ihre Felder in Brand setzt. Ich erwähne das bewusst, damit wir das Evangelium nicht als ein Märchen, einen Mythos lesen. Damit wir verstehen, im Evangelium geht es um eine konkrete Geschichte, die sich auf einem konkreten Fleck dieser Erde zugetragen hat, nicht um allgemeine Weisheiten und fromme Gefühle. Es geht um die Geschichte Gottes mit der Welt, die in Israel begonnen hat und die noch heute, auch dort, fortdauert.

Galiläa, der Norden Israels, war Jesu Land, seine Heimat. Nachdem er ungefähr 30 Jahre alt war, verließ er Nazareth und seine Familie und sammelte in der Umgegend Jünger, begann vom Gottesreich zu sprechen, davon, dass Gottes Welt nahekommt, nahegekommen ist und alles darauf ankommt, seine Nähe wahrzunehmen, ernst zu nehmen und das eigene Leben dementsprechend zu ändern. „Umkehren“ wird das wichtige Wort.

Der Evangelist Markus erzählt nun – und das war der Inhalt des heutigen Abschnitts – dass Jesus nach einiger Zeit in seine Vaterstadt zurückkehrt, an einem Schabbat, und wie alle Juden in Nazareth zum Gottesdienst in die Synagoge geht. Er „lehrte“ dort. Das heißt er redet auch dort von Gott und seinem Reich. Was erlebt er da?

Der Evangelist sagt zuerst, dass die Leute staunen. Aber es ist kein freudiges Staunen. Es ist ein Staunen, vermischt mit Skepsis. Sie reden von Jesus als „diesem“, also von „dem da“. Das ist schon sehr kritisch. Sie applaudieren nicht, sind nicht stolz, dass einer von ihnen so sprechen kann, ja sogar Menschen heilen kann. Sie stellen kritische Fragen. Fünf Fragen.

1. Woher hat er das alles? 2. Was ist das für eine Weisheit? 3. Was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen? 4. Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? 5. Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?

Es ist also die Frage, ob Jesus wirklich einen Auftrag von Gott her hat oder ob er sich nicht selber aufspielt. Ob er nicht ein grandioser Hochstapler ist, ein Betrüger.

Man versteht vielleicht die Skepsis der Leute in Nazareth. Sie haben Jesus aufwachsen sehen, kennen seine Familie. Wenn er mit fünfzehn vielleicht begonnen hat, im Bauhandwerk des Josef zu arbeiten, dann war er die weiteren fünfzehn Jahre einfach ein Zimmermann, ein Handwerker in ihrer Stadt.

Wir dürfen das Ansehen eines Handwerkers zur Zeit Jesu nicht zu hoch ansetzen. Die Hochschätzung des Handwerks, die wir kennen, ist schon ein Produkt der biblischen Überlieferung, der Achtung der Arbeit, die den arbeitenden Schöpfer imitiert. Die außerbiblische Antike schaute verächtlich auf die Handarbeit. Kritiker des Christentums haben zu allen Zeiten über die primitive Herkunft Jesu und seiner Jünger gespottet: Bauern, Fischer, Handwerker, Hausfrauen. Keine Philosophen, Intellektuellen, Wissenschaftler, Priester. Dass die Leute - selbst in Israel -  fragen: „Ist das nicht der Zimmermann, der da lehrt…?“ verwundert also nicht. In der Synagoge saßen seine langjährigen Kunden und Auftraggeber unter den Hörern. Vielleicht Leute, mit denen er Ärger gehabt hatte. Unbezahlte Rechnungen. Streit um Baumängel und ähnliches.

Markus fasst es schlicht zusammen: „Und sie nahmen Anstoß an ihm.“ Im Griechischen, in dem das Neue Testament geschrieben ist, steht da das Verb: skandalízomai. Es war für sie ein Skandal, dass „der da“ so auftritt, so redet, so handelt.

Das ist also der Kern der ganzen Erzählung, dieser Skandal. Es ist das Ärgernis für uns Menschen, für die Juden in Nazareth und für alle Glaubenden, für alle, denen Gott eine Wirklichkeit ist: dass Gott auf diese Weise kommt und auf diese Weise in unserer Welt handelt. Dass er nicht eingreift mit großer Macht, dass er nicht dreinschlägt und die Bösen vertreibt, dass er sein Volk nicht stark und unverwundbar macht. Das Ärgernis für die Philosophien und die großen Religionen ist, dass Gott durch Menschen handelt, und dass er im Konkreten des Lebens handelt. Gott arbeitet in der Welt und er redet zu den Leuten in einer kleinen Synagoge eines kleinen jüdischen Dorfes, er redet und handelt durch einen Juden.

Mit dieser Schwierigkeit hatten die Propheten zu kämpfen, die auch Bauern, Hirten, Viehzüchter und Pflanzenzüchter waren. Deswegen wurde diesem Evangelium heute die Geschichte des Propheten Ezechiel hinzugefügt, der auch keine Zustimmung erfahren hatte, sondern sich „harten Herzen“ und „trotzigen Gesichtern“ gegenüber sah. Das war die Erfahrung des Paulus, von dem wir in der zweiten Lesung gehört haben. Er sah sich selber als Schwächling, geschlagen und getrieben von irgendeiner körperlichen Schwäche. Es sind keine Helden, keine bedeutenden Leute, derer Gott sich bedient.

Dieses Ärgernis oder wie es Markus aus Nazareth erzählt, dieser Skandal, gehört zur Geschichte des Gottesvolkes, zu Israel und auch zur Kirche. 

Vergangene Woche waren wieder die neuesten Zahlen der Menschen in den Zeitungen, die aus der Kirche ausgetreten sind, 400.000 im Jahr 2023 haben die Katholische Kirche zumindest in ihrer rechtlichen Form verlassen. Für viele ist es diese fragwürdige Gestalt der Kirche, die Verbrechen, das viele Geld, die Überheblichkeit der Kirche, die sie veranlasst, ihr den Rücken zu kehren. 400.000 ist etwas abstrakt, aber jeder von uns kennt in seinem Umfeld Verwandte, Freudinnen, Kollegen, die so entschieden haben, und das sind dann 20, 30 in einem Dorf, 100, 200 in der Stadt.

Man kann darüber deprimiert sein. Man kann es abwiegeln und herunterrechnen, wie es manche Bischöfe tun, dass es doch nicht so ganz schlimm sei und man nur ein paar Reformen angehen muss, dann würde es schon wieder besser. 

Wir können aber auch auf uns selbst schauen mit den Augen des Evangelist Markus und seiner Geschichte aus Nazareth.

Wir nehmen auch Anstoß an Jesus, der so einfach ist. Wir nehmen den Glauben und die Kirche wie eine Religion, die dazu da ist, uns ein wenig Seelenfrieden zu verschaffen. Wir suchen die Sakramente dann, wenn sie uns nützen, wie eine Art spiritueller Medizin für ein ewiges Leben. Wir nehmen die Kirche wie einen Verein, der uns ein bisschen Geselligkeit verschafft.

Wir vergessen, wir übersehen, dass Gott zu uns kommt wie in die Synagoge von Nazareth und zu uns spricht durch die anderen Glaubenden. Wir schauen vielleicht auch auf unsere Versammlung und denken von den anderen, dass wir sie irgendwie auch kennen. Ist das nicht der und der? Ist das nicht die, die aus dieser Familie kommt? Wir übersehen, dass Gott nicht in großen Aktionen, Wundern, Spektakeln, großen Zahlen und Erfolgen kommt, sondern hier und jetzt. Dass er mir diese geschickt hat und an die Seite gestellt hat, die jetzt da sind, „meine Brüder“, „meine Schwestern“. 

Die kleine Episode in Nazareth, die das Evangelium erzählt, hat eben diese große Lehre in sich. Dass Gott auch heute redet und handelt. Dass er Wunder der Heilung tun kann, wenn wir ihn durch die Menschen, die an ihn glauben und auf ihn setzen, an uns herankommen lassen, nicht nur ins Geistige, Fromme, sondern in unsere Lebensweise, unseren Tag. Auch hier und jetzt, in dem Wort der Heiligen Schrift, das wir hören, in der Eucharistie seines Mahles und in den Personen, die er uns heute in diesem Gottesdienst, dieser Versammlung, zur Seite gestellt hat.

14. Sonntag im Jahreskreis B, 6./7. Juli 2024 | Hausen im Killertag St. Nikolaus; Heiligenzimmern St.Patricius; Haigerloch St. Anna  |  Lesungen: Ez 1,28b-2,5; 2 Kor 12,7-10; Evangelium: Mk 6,1b-6  |  Achim Buckenmaier