Warum gibt's keinen Überfluss?

17. Sonntag im Jahreskreis B - Homilie:

Das Evangelium, das wir gerade gehört haben, endet mit einer merkwürdigen Bemerkung: Als die Leute das Zeichen sahen, das Jesus getan hatte, sagten sie: „Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen.“

Das Zeichen, was die Leute gesehen haben, war die wunderbare Brotvermehrung. Eine Menge von 5000 Leuten wurde satt. Die Leute laufen in diesem Fall – anders als sonst! – in Massen Jesus hinterher. Aber Jesus braucht keine Schaulustigen und Fans. Er erkennt, dass sie nur das Brot sehen, aber nicht, was diese wundersame Vermehrung bedeutet. Sie suchen nur ein Spektakel und haben das Wunder als ein Mirakel genossen. Das ist normal. Wer von uns möchte nicht auf bequeme Weise gesund und satt werden, ohne umkehren zu müssen?

Das wäre zu einfach und die Lebensmitteldiscounter, Aldi, Lidl oder Edeka und wie sie alle heißen, würden sich bedanken, wenn die Christen einfach immer die Fähigkeit hätten, mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Leute satt zu machen. Und zugegeben: Im Israel zur Zeit Jesu gab es sicher mehr Bedürftige als die 5000, die da gerade am See Genezareth beisammen waren. Und in der Welt, bis heute, gibt Millionen von Hungernden. Was hilft ihnen ein einmaliges Wunder von vor 2000 Jahren?

Der Evangelist Johannes hat dieses mögliche Missverständnis und die Fragen schon erkannt und deswegen spricht er gar nicht von „Wunder“ wie die anderen Evangelisten, sondern von „Zeichen“. Es ist ihm viel wichtiger, dass man versteht, was Jesus getan hat, warum er es getan hat und was er damit sagen wollte. Es geht nicht darum, dass man Jesus applaudiert und berührt ist und Jesus anbetet und bewundert, weil er so großartige Dinge tun kann. Darum geht es nicht. Die Brotvermehrungsgeschichte redet von einem Zeichen. Sie kommt fünfmal im Neuen Testament vor, immer in ein wenig voneinander abweichenden Varianten. Es war offensichtlich ein auffallendesZeichen, das Jesus da getan hat.

Drei Aspekte an dieser Erzählung sind wichtig:

Erstens: Schon die frühe Kirche hat begonnen dieses Brotvermehrungswunder auf die Eucharistie zu deuten. Nur wenig Brot, ein kleines Brot und doch macht es vieles satt, zumindest in ihrem geistlichen Leben. Das Brot der Eucharistie will uns nämlich in eine bestimmte Sache hineinführen, uns fest mit Jesus und seinem Auftrag verbinden. Der Empfang der kleinen Hostie, des Leibes Christi, will uns zu einem einzigen Leib formen, die Kommunion zu einer Kommunität, zu einer Gemeinschaft formen.

Damit sehen wir auch den zweiten Aspekt der Erzählung. Der Evangelist Johannes ist der Einzige, der sagt, was für eine Sorte Brot es war, Gerstenbrote nämlich, der also die Weizensorte genau nennt, aus der das Brot gemacht ist, das der Junge herbringt. Damit knüpft der Evangelist bewusst an der Geschichte von Elischa an, der auch zu seiner Zeit durch sein Wunder viele Menschen satt gemacht hat, die in seiner Umgebung waren. Mitten in einer Dürre bringt ein Mann, der treu zum Gott Israels dem Elischa zwanzig Gerstenbrote, damit der Prophet und damit der Glaube an Gott überlebt. Das haben wir in der ersten Lesung gehört. 

Wenn jetzt der Evangelist Johannes eigens betont, dass auch der Brote, die der kleine Junge zu Jesus bringt, Gerstenbrote sind, dann will er signalisieren, dass auch jetzt der Glaube auf dem Spiel steht, und dass auch Jesus den Auftrag übernimmt, die Geschichte Gottes zu retten, sie am Leben zu erhalten, damit der Glaube an Gott die Welt „satt“ macht, damit der Hunger in der Welt, der Hunger nach Essen, aber auch der Hunger nach Gerechtigkeit und Frieden gestillt wird, damit Gott ein Volk, eine Gemeinschaft, ein Werkzeug in der Welt hat, mit dem er diesen Hunger stillen kann, eine Gemeinschaft, von der die Welt zehren kann.

Und das Dritte, was wir sehen: Warum es in den Brotvermehrungsgeschichten ausgerechnet fünf Brote und zwei Fische sind, darüber haben viele nachgedacht. Eine interessante Deutung sagt: Die fünf Brote, die stehen für die fünf Bücher Moses: Genesis, Exodus, Numeri, Levitikus und Deuteronomium, also für die Tora, die zwei Fische für die beiden anderen großen Teile der Bibel: die geschichtlichen Bücher und die prophetischen Schriften.

Und tatsächlich findet man in der Tora, im Alten Testament, alles, was zu einem guten, friedvollen und glücklichen Leben beiträgt. Von Spiritualität ist dort fast gar nicht die Rede. Stattdessen geht es um sehr praktische Fragen. Die Gebote und auch die Verbote und die vielen Regeln in der Tora betreffen alle Gebiete unseres Lebens, das Geld, die Sexualität, die Beziehungen, die Macht, Eigentumsfragen und Hygiene, Maße und Gewichte, was man essen soll und was nicht, und so weiter. Zum Teil sind diese Gebote überholt, weil unsere Lebenssituation eine andere ist, aber sie geben für viele Bereiche die Richtung an. Wenn wir dieses Leben leben, ein Leben aus dem Glauben und im Glauben, dann haben auch alle die davon etwas, die nicht glauben. Sie können sehen, dass Friede möglich ist, absoluter Schutz des schwachen Lebens und Recht und Solidarität. Das sind sozusagen die zwölf Körbe, die übrig sind.

Das sind drei Dinge, die wir in dieser Erzählung sehen: Sie sagt uns etwas über den Sinn und das Ziel der Eucharistie: dass wir selber Leib Christi werden. Sie zeigt uns das Geschenk, das die Geschichte Gottes für uns ist, das Privileg, die Auszeichnung, dass wir getauft sind und schon in diesen Leib eingefügt sind als Christen. Freude und Dankbarkeit, dass man überhaupt Christ ist – wann habe ich sie zum letzten Mal wahrgenommen und als Signum meines Lebens empfunden? Und sie zeigt uns mit diesem Hinweis, dass Christsein ein Gewinn ist, auch unseren Auftrag für die anderen, für die Welt, für unsere Gesellschaft.

Es gibt unter uns viel Bitterkeit, viel Resignation und Isolation. Die einen klagen über dies, die anderen über jenes in der Kirche; die einen klagen laut, die anderen leiden still. Immer ist es nicht passend. Immer ist man zu sehr beansprucht. Ein permanentes Grundgefühl mancher ist, dass ihr Tun und Leben in der Kirche nicht genug wertgeschätzt werden. Das legt sich wie Mehltau auf die Kirche, auf die Pfarreien, auf die Sitzungen und Zusammenkünfte. Es ist das beste Mittel, jeden anderen von der Kirche fernzuhalten, die Jungen besonders, aber auch die Alten.

Wenn wir uns miteinander wirklich verbinden würden, nicht nur geistlich, nicht nur im Gebet und mit guten Gedanken, sondern real im alltäglichen Leben, dann würde sich nicht nur viel Verbitterung und viel Traurigkeit auflösen, dann haben wir auch die zwölf Körbe an Kräften frei und den Schwung, den unsere Gesellschaft, unsere Dörfer und unsere Kinder und Familien, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, zu ihrer Orientierung, Heilung, Korrektur und Befriedung braucht.

Wir haben alles. Wir haben die fünf Brote und die zwei Fische. Wir haben auch hier heute Morgen/Abend das eucharistische Brot. 

Nur den Überfluss der zwölf Körbe, nur den Überschuss für unsere Welt haben wir nicht mehr. Wenn die Kirche nicht Kirche ist, wenn die Christen lauter einzelne bleiben, dann nimmt die Welt Schaden, dann fehlt ihr die entscheidende Hilfe, den Hunger in der Welt zu besiegen, den realen Hunger nach Brot, aber auch den nach Frieden, nach Orientierung, nach Sinn, nach einem menschenwürdigen und menschenfreundlichen Leben.

Wenn wir jetzt die Eucharistie feiern, dann zeigt uns das Evangelium von heute unsere wirkliche Auszeichnung, unsere Berufung und unsere Aufgabe.

17. Sonntag im Jahreskreis B, 28. Juli 2024 | Haigerloch, St. Anna; Jungingen St. Silvester  |  Lesungen: 2 Kön 4,42-44; Eph 4,1-6; Evangelium: Joh 6,1-15  |  Achim Buckenmaier