Worauf wir schauen

Fest Kreuzerhöhung, 14. September 2025 - Homilie:

Das Evangelium dieses Sonntages für das Fest der Kreuzerhöhung ist die Wiedergabe eines nächtlichen Gespräches, das Jesus mit einem Pharisäer, mit einem frommen Juden führt, mit Nikodemus. Nächtliche Gespräche, bei einem Glas Wein oder auch während einer Autofahrt sind ja oft tiefsinniger als ein schneller Smalltalk am Morgen oder ein Plausch am Nachmittag, und so ist es auch bei dem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus. Und wir lernen nebenbei Jesus noch einmal kennen, als einen gläubigen jungen jüdischen Mann, als einen Handwerker, der aber die Tora, die Heilige Schrift, die Bibel so gut kennt, dass er sie auswendig zitieren kann und ihre Geschichten versteht. 

Der Evangelist Johannes, der vielleicht zwei Generationen nach dem Tod Jesu schreibt, schaut auf Jesu Tod und seine Kreuzigung zurück und er erkennt, dass der Tod Jesu am Kreuz eine – wie er sagt – „Erhöhung“ war. „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden.“ Das meint zuerst einmal ganz real, dass Jesus an einem Kreuz aufgehängt wurde, das vor der Stadt stand, er wurde angenagelt und hochgezogen.

Dann meint Erhöhung aber auch noch etwas zweites: dass durch die Treue Jesu am Kreuz, an dem sein Vertrauen in Gott nicht zerbrochen ist, dass Jesus für die Wahrheit sein Leben gegeben hat, dass diese Treue ihn erhöht hat, dass Gott ihn erhöht hat oder wie wir es im Glaubensbekenntnis sagen, „zu seiner Rechten gesetzt“ hat. Also der grausame Kreuzestod bedeutet für Jesus zuletzt eine Erhöhung zu Gott.

Diese Erhöhung erläutert Jesus im heutigen Evangelium mit der Geschichte von der Kupferschlange, die Mose in der Wüste angefertigt und auf eine Stange erhöht hat, damit man sie anschauen konnte.

Die erste Lesung, heute aus dem alttestamentlichen Buch Numeri, hat diese Geschichte erzählt. Was hat es mit der Schlange auf sich? 

Das Buch Numeri erzählt hauptsächlich vom Durchzug des Volkes Israel durch die Wüste Sinai. Unter der Leitung des Mose waren die Israeliten aus Ägypten geflohen, aus der Sklaverei, aus einer erbarmungslosen Zwangsarbeit. Gott hatte ihnen diesen Mut und diese Fähigkeit gegeben. Sie finden die Freiheit, ja, sie finden auch viel Hilfe in der Wüste, zum Beispiel das Manna, eine Art Nahrung, die man offensichtlich von Büschen pflücken konnte, um in der Wüste zu überleben.

Aber wie der Mensch allgemein ist, so ist es auch das Volk Israel. Es vergisst schnell alles, was an Gutem von Gott kommt, die Wohltaten, die Rettung selbst, das Überleben jeden Tag. Und sie fangen an zu murren. Sie rebellieren gegen Mose, jammern vor ihm und machen ihm Vorwürfe. „Warum habt ihr uns aus Ägypten herausgeführt etwa, damit wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser, und es ekelt uns vor dieser elenden Nahrung.“

Dieser Vorwurf ist eine einzige Verfälschung der Geschichte. Er ist eine Lüge. Denn er vergisst alles, was Gott Israel gegeben hat, die Befreiung aus dem Gewaltregime des Pharao, das Durchhalten in der Wüste, die Fürsorge des Mose für sein Volk und sofort. Die Rettung wird als „umkommen“ umgedeutet und das Manna als „elende Nahrung“ diffamiert.

Die Geschichte erzählt, dass das Volk Israel dann in der Wüste mit einer Schlangenplage konfrontiert ist. Viele werden von giftigen Schlangen gebissen und sterben. Sie deuten das als eine Strafe für ihren Unglauben und ihr mangelndes Vertrauen und für ihre Rebellion gegen Gott.

Gott ordnet nun an, dass Mose eine Schlange aus Kupfer macht, sie auf einer Fahnenstange befestigt und dass jeder, der auf dieses Bild schaut, vom Schlangenbiss geheilt wird und am Leben bleibt. Ist das nicht Magie, ist das nicht Zauberei, ist das nicht Aberglauben? Und hat Gott nicht selbst in den Zehn Geboten verboten, ein Bildnis herzustellen? 

Die Deutung dieser Geschichte ist für uns nicht schwierig. Es geht nicht um das Anschauen eines Bildes aus Edelmetall. Es geht darum, dass die Menschen aufschauen. Das Hinaufschauen, das Hinaufblicken ist das, was entscheidend ist und was heilt. Die Umkehr des Schauens. Auf den Boden schauen oder auf sich selber schauen und immer nur das zu sehen, was nicht so ist, wie man es gerne hätte, oder was elendig ist und unfertig und nicht gut läuft. Das macht krank und ist ungläubig. 

Das ist etwas, was wir in der Kirche unserer Tage sehr oft erleben können, dieses Schauen auf sich selbst, auf die eigenen Bedürfnisse und auf das, was man sich von der Kirche erwartet und wünscht. Dann kommen dieses Murren und die Unzufriedenheit ganz schnell, weil man nicht den passenden Gottesdienst findet, nicht die passende Uhrzeit, nicht die Form der Liturgie, die mir gefällt. Die Art, wie gebetet, gesessen oder gestanden oder gekniet wird, die Sprache, die gesprochen wird, ob sie geschlechtergerecht ist oder patriarchalisch oder sonst etwas. Und die Strukturen der Kirche, mit ihren Unzulänglichkeiten und ihrer Zeitbedingtheit... WEnn wir nur auf das, "nach unten"  schauen, dann haben wir keine Ohren und keine Augen für das, was Gott an uns schon getan hat. Das macht uns im Glauben schwach und im Herzen krank und die Kirche selber wird dadurch ohnmächtig und schwach.

Unsere Welt heute ist so unruhig und so unsicher wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Es sind nicht nur die Kriege und die militärischen Drohungen, die sich gegen die Freiheit richten, die wir jeden Tag in den Nachrichten sehen, es ist auch eine innere Orientierungslosigkeit, ein Ausgeliefertsein an Medien und soziale Kanäle, den Mainstream, die viele verwirren. 

Woher sollte Hilfe kommen, wenn nicht aus dieser langen Geschichte Gottes mit seinem Volk, aus dem Glauben und Vertrauen auf seine Gegenwart? 

Wer sollte noch wissen, was Gewissen ist und Menschenwürde und wahre Freiheit, wenn nicht die Glaubenden, die aus den Quellen einer langen Geschichte, wie sie in der Heiligen Schrift und der Lehre der Kirche zu finden sind, schöpfen können? 

Erst wenn wir von uns selbst wegschauen und von dem Elend dessen, was wir selber nicht können und nicht machen und auf das schauen, was Gott schon an uns getan hat, also von uns wegschauen und stattdessen aufblicken und sehen, dass Gott uns berufen hat und wir unendlich viel Gutes erfahren haben, durch ein Leben im Glauben, erst dann werden wir heil und gesund und können der Welt helfen, erst dann ist der Glaube eine Rettung und Lösung für unsere Welt und unsere Gesellschaft, für die Jungen, für die Suchenden und die Bedürftigen.

Wenn wir aufblicken, dann sehen wir keine Kupferschlange, sondern wir sehen Jesus, den Gekreuzigten. Wir sehen Jesus und seine Geschichte, seine Botschaft und sein Leben. Wir sehen, wie es der Evangelist Johannes sagt, dass „Gott die Welt so sehr geliebt hat – uns geliebt hat –, dass er seinen einzigen Sohn hingab“. Wir sehen einen Leidenden und wir verstehen vielleicht, dass auch die Kirche leidet am Unglauben derer, die eigentlich glauben können, und dass Gott deswegen so schwach ist in der Welt.

Ich sehe das Kreuz. Ich weiß, dass ich berufen bin, an der Heilung der Welt mitzuwirken, mit Jesus, und dass das auch meine eigene Heilung und mein Ganzsein bedeutet.

Kreuzerhöhung, 13./14. September 2025  |  Boll St. Niolaus; Schlatt St. Dionysius; Jungingen St. Silvester |  Lesungen: Num 21,4-9; Phil 2,6-11; Evangelium: Joh 3,13-17  |  Achim Buckenmaier