Christsein ohne Amt

Vierter Ostersonntag 20./21. April 2024 - Homilie:

Wenn wir dieses Evangelium vom Guten Hirten und den Schafen im Ohr haben – was würden Sie sagen, wenn ich Sie heute anreden würde mit: „Liebe Schafe“…? Das würden Sie und ich – zurecht – sehr unpassend finden. Heute hat man eher Probleme mit diesem Bild vom Hirten und den Schafen, obwohl man gerade bei uns, auf der Alb, immer wieder Hirten mit ihren Herden in der Heidelandschaft sieht. Innerlich rebelliert heute jeder: Wir wollen keine Schafe sein. Als Christ will man nicht mit einer blökenden Herde verglichen werden, die gehorsam einem hinterhertrottet, bewacht und eingehegt von irgendwelchen „Schäferhunden“ aus Freiburg oder Rom oder von sonst woher. Ich denke, das dürfen wir getrost abhaken. 

Das Bild von Hirt und Herde ist keine Erfindung Jesu. Es kommt aus der Tiefe der Erfahrung Israels, wie sie im Alten Testament, besonders bei Propheten wie Ezechiel und in den Psalmen festgehalten sind. „Der Herr ist mein Hirte…“ so beginnt einer der bekanntesten und anrührendsten Psalmen, Psalm 23. „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht…“ Unzähligen Menschen in allen Zeiten – egal ob sie auf Dörfern mit Hirten oder in Städten lebten, antiken und modernen Menschen – sind diese Worte Trost und Hilfe gewesen und sind es noch.

Im Alten Testament ist dieses Bild zugleich so kritisch wie bei Jesus. Eine Kritik an denen, die Verantwortung im Gottes Volk tragen, aber sie nicht wahrnehmen. Eine scharfe Kritik an denen, die „sich selbst weiden“, die ihre Stellung benützen, um über andere zu herrschen und in die eigene Tasche zu wirtschaften. 

Vor allem ist es eine Erinnerung an zwei Dinge:

Erstens daran, dass Gott selbst der Hirte seines Volkes ist. Er ist der einzige Hirte, bei dem die Menschen seines Volkes nicht willenlose Schafe werden, sondern freie Menschen; dem nicht eine Masse dumpfer Gefolgsleute nachfolgt, sondern Personen mit Namen, die er persönlich kennt, um die er sich sorgt, die er gerufen hat und ruft. Und es geht darum, dass wir uns sammeln lassen dürfen von ihm. Dass wir nicht als einzelne glauben und leben müssen, dass wir vor allem gerufen sind als Glaubende, beieinander zu sein und beieinander zu bleiben. Das wussten die Zuhörer Jesu nur zu gut: Einzelne Tiere sind verloren, gehen leicht verloren, verlaufen sich. Das Vertrauen in Gott sammelt uns und führt uns in ein Vertrauensverhältnis zueinander, in ein Miteinander, das uns allein uns hilft, zu glauben und so recht zu leben. 

Es geht darum, sich sammeln zu lassen von dem einen Hirten.

Deswegen geht es in diesem Bild vom Guten Hirten und seiner Herde um unser Bild von der Kirche, von der Gemeinschaft der Glaubenden. Das ist das Zweite, was uns vielleicht heute vom Evangelium her anredet.

Immer wieder ploppt in der letzten Zeit im Bistum, in unseren Pfarreien und Gemeinden ein Problem auf, das sich mal deprimiert, mal aggressiv präsentiert. Da geht es um das Verhältnis von sogenannten Ehrenamtlichen und sogenannten Hauptamtlichen. Mit diesen Bezeichnungen fühlen sich schnell alle überfordert: 

Die Hauptamtlichen, weil sie gar nicht alle Erwartungen erfüllen können. Sie können nicht überall sein, haben nicht genügend Zeit, machen Fehler, sind inkompetent, wenig glaubwürdig, sind für vieles, was von ihnen verlangt wird, nicht ausgebildet. Sie sitzen mehr in den Büros und Gremien als bei den Leuten, den Kranken, den Familien, den Armen.

Und die sogenannten Ehrenamtlichen, die Engagierten, sehen sich auch überfordert und zugleich bevormundet. Man soll Verantwortung übernehmen für Dinge, die früher die Pfarrer erledigt hatten. Jetzt sollen sie entscheiden, sollen es selbst machen. Jeder hat aber einen Beruf, hat Familie. Bei jedem hat der Tag auch nur vierundzwanzig Stunden. Wie soll das gehen?

Hier zeigt uns das Bild vom Guten Hirten und von seiner Herde eine andere Richtung. Man ist Christ, Christin, weil man getauft ist, nicht weil man „etwas macht“. Man ist mit Namen gerufen, jeder, jede, von Gott selbst. Das ist unsere „Ehre“, nicht weil ich ein Amt habe, nicht weil ich mich „engagiere“, mich bis zur Erschöpfung einsetze. 

Auch ein Schwerkranker, der nur noch im Bett liegen kann, auch jemand, der gar nicht mehr aus dem Haus kann, der für die Kirche betet, für die Kinder und Jugendlichen, auch ein Ehepaar, das sich um die Kinder kümmert, das mit ihnen betet, das nicht mehr machen kann, als zum Gottesdienst kommen, auch diese sind „engagiert“, vielleicht sogar noch mehr. Gott braucht keine „amtlichen Christen“. Er sucht Liebhaber seiner Sache. Ich würde diese Worte „hauptamtlich“ und „ehrenamtlich“ einmal für eine zeitlang aus dem Vokabular der Kirche streichen. Christ bin ich weder durch eine Weihe, noch durch eine Funktion, noch durch ein Amt. Christin und Christ bin ich, weil der Hirte, Gott und sein Bote Jesus, die Seinen kennt, mich kennt, weil er mich gerufen hat, weil er sein Leben für seine Herde gegeben hat. 

Dass der Hirte Jesus sein Leben für seine Schafe gegeben hat, dafür, dass es eine Herde gibt, uns, seine Kirche, unsere Versammlung heute Abend/heute Morgen, das ist das, was wir in der Eucharistie feiern. Sie ist nicht eine Mitgliederversammlung, sondern ein Dank, eine Freude. Das ist die alles entscheidende Grundierung für alles, was man in der Kirche, in einer Pfarrei, in einer Gemeinschaft dann auch tun und machen muss. Es geht zu allererst darum, dass wir Seine Stimme hören, die Stimme Jesu kennenlernen, Seine Stimme, nicht die unsere. 

Jesus sagt von sich selbst: „der Vater – also Gott – liebt mich.“ Das ist der Ausgangspunkt, das erste Wort, das auch von uns gesagt wird. Und uns hat er in unserer Taufe da hineingenommen. Gott liebt diese Herde, sorgt sich um uns. Und wenn wir in diesem Raum bleiben, beieinander bleiben, sind wir auch davon umgeben.

Ich bin nicht Christ, weil ich „etwas mache“, mich „einsetze“, sondern weil ich geliebt bin und darauf antworte, weil ich „Liebhaber“ dieser Geschichte mit Gott bin. Und dann engagiere ich mich vielleicht oder nicht. Wirke aktiv mit oder einfach durch Glaube, Freude und Treue jeden Tag. Ich danke Gott dafür. Ich brauche keinen Dank vom Bischof oder Pfarrer, kein Geschenk oder sonst eine Anerkennung. Das kann menschlich auch schön sein und angebracht. Aber das eigentliche Geschenk habe ich ja schon: Ich bin Glied in Seinem Volk. Ich höre und kenne in der Kirche, hier in der Versammlung, Seine Stimme. Ich lebe ein anderes Leben. Denn: Der HERR ist mein Hirt.

Vierter Sonntag der Osterzeit B, 20/21. April 2024 | Beuren St. Johannes d.T.; Hechingen St. Jakobus; Jungingen St. Sylvester  |  Lesungen: Apg 4,8-12; 1 Joh 3,1-2; Evangelium: Joh 10,11-18    Achim Buckenmaier