Den Glauben kennen

7. Ostersonntag (Lesejahr C) - Homilie:

Am Ende des heutigen Evangeliums sagt Jesus: „Ich habe dich erkannt und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun.“ Es ist auffällig, dass in diesem Abschnitt des Evangeliums, in dem von der Einheit und der Liebe und den Jüngern Jesu die Rede ist, so nachdrücklich vom Erkennen und Kundtun gesprochen wird. Diese beiden Worte gehören im Deutschen – wie auch im Griechischen – zum Wortfeld um Wissen und Erkennen. Bekanntwerden, begreifen, verstehen, kennen…, alle diese Worte gehören dazu.

Aber was wird bekanntgemacht? Was wird kundgetan?

Jesus sagt von sich, dass er den Jüngern den Namen Gottes kundgetan hat. 

Der Name Gottes ist der Name, den Gott Mose am Dornbusch offenbart hat. Es ist eigentlich kein Name, wie er in der Antike üblich war als Name für Gottheiten. Vielmehr es ist eine Art Beschreibung, wie einzigartig und anders der wahre, eine Gott Israels ist. „Ich bin der Ich bin“, sagt Gott von sich selber. „Ich bin, der ich da sein werde.“ Gott ist nicht ein Talismann, kein Furchtbarkeitsgott, kein Wettergott, kein Wünscheerfüller, keine eiserne Ration. 

Der Gott, der sich Mose zeigt, ist der Gott, der in der Geschichte mitgeht und dort präsent ist, wo sein heilsamer, guter Wille getan wird. In der Geschichte der Religionen ist das eine Revolution und etwas völlig Neues. Die Menschen der Antike hatten Angst vor den Göttern und sie haben versucht, sie gnädig zu stimmen und sie auf ihre Seite zu bringen durch Opfer, Tier- und Menschenopfer, Orgien, Gebete, Lieder, kultische Praktiken und sofort. Und durch das Anrufen des Namens einer Gottheit konnte man sie auch herbeirufen, herbeizwingen, hatte man indirekt auch eine Macht über die Götter. Israels Gott aber  ist völlig anders. Er ist nur dort, wo sein Name  g e h e i l i g t  wird, das heißt wo seine Gebote getan und seinen Verheißungen vertraut wird.

Das war die eigentliche Tätigkeit Jesu gewesen, das, was er mit seinen Jüngern getan hat, worin er sie hinführen wollte, durch seine Lehren, durch seine Worte durch die Wunder und das Leben miteinander für mehr als zwei Jahre. 

Aber Jesus ist nicht nur der Wundertäter, sondern auch der Lehrer. Er kommt zu uns, in unsere Zeit auch, nicht nur durch Gefühle, sondern durch lehren, lernen und verstehen.

Deswegen erzählt uns die Liturgie Sonntag für Sonntag die Geschichte des Gottesvolkes, die Geschichte Israels, Jesu und der jungen Kirche. Heute, einen Sonntag vor Pfingsten, haben wir die Geschichte des ersten Märtyrers Stephanus gehört. Wer diese Erzählung – die erste Lesung – aufmerksam hört oder liest, der versteht, dass der Evangelist Lukas, der sie geschrieben hat, noch etwas Zweites sagen will über das Martyrium des Stephanus hinaus, dass sozusagen zum Text selbst noch ein Subtext mitläuft. Diese Botschaft zwischen den Zeilen ist, dass sich in der Kirche das Tun Jesu fortsetzt. Deswegen erzählt Lukas, dass Stephanus genauso stirbt wie Jesus auch. Er vertraut auf Gott und gibt seinen Geist auf, das heißt vertraut im Sterben sein Leben ganz Gott an. Und auch Stephanus vergibt seinen Mördern, genauso wie Jesus.

Diese Geschichte muss man  k e n n e n, damit man ihre eigentliche Botschaft hört. Es geht um mehr als die Erinnerung an eine einmalige Episode in der Geschichte der Urgemeinde. Es geht auch darum, dass das Tun Jesu und seine Wirkung nicht zu Ende sind, nicht erledigt sind nach seinem Tod. Dass er vielmehr weiterwirkt in seinen Nachfolgern und Jüngern, in der Gemeinde, die nach seinem Tod entsteht.

Viele sind heute beunruhigt, weil die Kirche immer kleiner wird und die Glaubenden immer weniger werden, weil der Einfluss der Kirche und seine positive Prägung für die Gesellschaft immer mehr abnimmt. Deswegen gibt es unendlich Ideen und Initiativen, vor allen Dingen viel Papier. Es gibt Events, Wallfahrten und gefühlvolle Veranstaltungen. Das alles kann gut sein, weil man auch mit dem Herzen von der Geschichte Gottes mit den Menschen berührt sein will. Aber gleichzeitig wird das nicht reichen. Es reicht vielleicht, dass man als einzelner Mensch zufrieden ist, vor allen Dingen zufrieden mit sich selbst. Dass man ein sogenanntes religiöses Leben hat, eine Spiritualität, um das eigene Leben zu meistern. Es ist auch nur dann genügend, wenn alles im Leben im Großen und Ganzen in Ordnung ist. Um mit den großen Herausforderungen zurechtzukommen, um den Glauben zu bewahren und ein gutes Leben leben zu können, wenn uns Krankheiten, Zerwürfnisse, Tod, Trennungen und anderes Einschneidendes trifft, reichen schöne Lieder und Emotionen nicht.

Auch um die Kirche in die Zukunft zu bringen, um Antworten zu haben für die Menschen, die skeptisch sind, ablehnend, die kritische Fragen haben, dafür reicht ein bisschen Sich-wohlfühlen nicht und – man muss es sagen – ein bisschen privates Beten und Frommsein, das sich nur um die eigene Seele kümmert, auch nicht. Wenn wir als jüngere Leute den Freunden und als Ältere den Kindern und Enkeln nicht auch verständliche Antworten geben können, warum wir glauben, dann fehlt etwas in unserem Christsein. Es reicht auch nicht, wenn wir immer nur nach uns selbst fragen, wie wir die Kirche gerne hätten, was wir uns von ihr wünschen, wie sie sein sollte. Das ist letztlich nur ein spirituell verbrämtes Um-sich-selbst-kreisen, ein Kreisen um jetzige Empfindungen und Gefühle. 

Der Glaube sucht das Verstehen, sagt die Tradition. "Fides quaerens intellectum". Und viele Fragenden, besonders junge Menschen, modern empfindende, nüchterne Menschen wollen den Glauben, aber sie wollen auch Antworten, wollen verstehen, warum sie dieser Geschichte glauben sollen, Gott und seinem Jesus glauben, warum der christliche Glaube gut ist und vernünftig. 

Das ist der Grund, warum es Theologie in der Kirche geben muss, Auslegung der Schrift, Reflexion.

Jesus hat es vorgemacht und damit den Maßstab gesetzt. Ein Maßstab, den er aus der Geschichte seines Volkes hat: „Ich habe dich  e r k a n n t, Gott und sie, die Jünger, haben  e r k a n n t, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen  b e k a n n t   g e m a c h t.“ Dieses Bekanntmachen und das Kennen, das ist Anforderung an uns und unsere Aufgabe. Wenn die Kirche, auch durch uns und nach uns lebendig sein soll in unserer Welt, in unseren Dörfern und Städten, dann müssen wir selber „kennen“ das heißt nicht nur die Welt mit ihren Problemen kennen, sondern auch die Geschichte Gottes mit den Menschen kennen, Jesus kennen, die Heilige Schrift aus Altem und Neuem Testament kennen und auch meine Brüder und Schwestern kennenlernen. Kennen und Kennenlernen werden wir sicher im Letzten nur, wenn wir mitgehen und vertrauen. Aber es gehört auch das Wissen, die Kenntnis dessen dazu, wie und durch was Gott in der Welt handeln will, was und warum wir glauben und zurecht Gott vertrauen.

7. Ostersonntag C, 1. Juni 2025 | Schlatt St. Dionysius  |  Lesungen: Apg 7,55-60; Offb 22,12-14.16-17.20; Evangelium: Joh 17,20-26  |  Achim Buckenmaier