Fleisch essen? Blut trinken?
Homilie zum Fronleichnamsfest 2023 - Sie haben dieses Evangelium gehört. Ich habe es gelesen. Wir sprechen alle Deutsch. Wir verstehen die deutsche Sprache. Aber irgendwie scheint dieser Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium wie eine Fremdsprache, wie aus einer Codiermaschine, deren Schlüssel wir nicht kennen.
„Ich bin das lebendige Brot“, sagt Jesus. Was soll das sein, ein „lebendiges Brot“? Brot ist frisch oder altbacken, ist Weißbrot oder Vollkornbrot. Aber „lebendiges Brot“? Und warum kommt es „vom Himmel“? Brot kommt vom Bäcker oder aus dem Dorfladen, aber nicht vom Himmel. Das ist doch kaum verständlich. Und dann kommt es noch stärker: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch“, auch das sagt Jesus. Was hat es damit auf sich? Ist das nicht eine grausame Vorstellung: Fleisch des Menschensohnes essen? Ist es nicht eine geradezu absurde, groteske Idee?
Im amerikanischen Bundesstaat Utah wurde letzte Woche in einem Schulbezirk per Gerichtsbeschluss die Verwendung der Bibel in Grundschulen verboten. Es wären zu viele brutale Inhalte darin, entschieden die Richter, Gewalt, Krieg, Sexismus und so weiter.
Soll man sich dem anschließen, wenn man das heutige Evangelium hört? Oder soll man sich damit zufriedengeben, dass man eben als moderner Mensch, der im Büro sitzt oder in der Produktion arbeitet, der in die Schule geht oder der in Rente ist, oder als Erzieherin arbeitet, dass man als normaler Mensch eben diese Sprache nicht versteht, dass sie eine Binnensprache der Kirche ist, eine verschlüsselte Sprache oder ein überholtes, veraltetes Ding, das aber mit unserem wirklichen Leben nichts zu tun hat? Soll man als junger Mensch, der mehr auf Instagram und TikTok unterwegs ist als in der Bibel, soll man das quasi abhaken mit dem Denken: das war eben die Welt meiner Großeltern, das hat aber mit mir nicht wirklich etwas zu tun?
Wenn wir heute nicht nur die Messe in der Kirche bzw. der Halle feiern, sondern mit der Prozession durch’s Dorf laufen, dann behaupten wir eben genau das Gegenteil. Dann sagen wir unseren Zeitgenossen, aber noch mehr uns selbst, dass diese Sache des Glaubens, dass der Glaube an den Gott Israels und an Jesus gar nirgends anders hingehört und gar nirgends anders seine Wirkung entfalten will als in unseren Leben, in unseren Häusern, an diesem Ort.
Das ist letztlich auch die Antwort auf die Frage, was das bedeutet „lebendiges Brot“ und „das Fleisch des Menschensohnes essen und sein Blut trinken“. Lebendiges Brot meint eben, dass das Leben mit Gott, ein Leben mit dem Glauben und der Kirche unser tägliches Brot wird. Ich esse Brot ja auch nicht nur am Sonntag, sondern jeden Tag, und deswegen wird für jeden, der sein Leben vom Glauben an Gott her prägen lässt, diese Formung etwas für jeden Tag, für sein alltägliches Leben. Und „Fleisch und Blut des Menschensohnes essen und trinken“ meint, dass uns das Wissen, dass es einen Gott gibt, dass es seine Gebote gibt und wir sie kennen, dass uns seine Verheißungen in Fleisch und Blut übergehen, dass wir sie nicht als etwas Fremdes und von außen Auferlegtes sehen, den Glauben nicht als eine Sache von außen, vom Pfarrer, von der Kirche, sondern als meine eigene Sache, dass wir sie übernehmen wie Jesus, den es Fleisch und Blut gekostet hat, sein Leben, wie wir in jeder Eucharistie bekennen.
„In Fleisch und Blut“, das meint ganz und gar. Gott steckt sozusagen mit seinem Interesse für unser Glück und Heil seine Nase in alle Ritzen unseres Lebens. Er interessiert sich für unsere sozialen Beziehungen, für unser Fleisch und Blut, eben unsere Familien und Partnerschaften, für unser Wirtschaften, für das, was wir gerecht oder ungerecht nennen, für unsere Art, mit Krankheiten umzugehen. Die Gebote der Bibel, besonders des Alten Testamentes sind immer ganz praktisch und konkret.
Wer weiß und für sich akzeptiert, dass sein Tag und sein Handeln als Christ unter dem Gebot der Nächstenliebe steht, unter der Aufforderung Jesu, dem, der an mir schuldig wurde, zu vergeben, immer wieder zu vergeben, den schwächeren Menschen zu achten, das Kind, den alten, den dementen Menschen, den behinderten oder kranken, der lebt einfach anders.
Wer weiß und anerkennt, dass sein Leben Geschenk ist, als Mann, als Frau, Geschenk eines Gedankens Gottes und nicht soziales Konstrukt, das man mal hier, mal dort ändert, das Leben ein Geschenk, das man sich nicht selbst und nicht anderen nehmen darf, nur weil es nicht mehr produktiv, fit oder schmerzfrei ist, wer solches anerkennt, der lebt anders als viele um uns herum.
Wer weiß und anerkennt, dass es einen Gott gibt, der die Welt gewollt hat, der eine Beziehung, eine Geschichte mit dem Volk Israel und mit uns eingegangen ist, der liebt diese Welt, aber er denkt nicht, er sei eine letzte Generation, der ist nicht erbittert und depressiv oder aggressiv, der lebt und handelt und empfindet anders, der kann nur denken, dass er die heutige Generation ist, egal ob er achtzig ist oder achtzehn, dass er Verantwortung hat als Christ, dass er aber gleichzeitig ein riesiges Reservoir an Erfahrung hat für ein gerechtes und friedliches und humanes Leben: die Offenbarung Gottes, das Evangelium, das Alte Testament, die Glaubenserfahrungen der Kirche, den Sonntag, Schwestern und Brüder, Freunde, die Freude, die Welt zu gestalten und zu verändern zum Guten.
Deswegen tragen wir das Allerheiligste auf die Straße. Wir umgeben es mit viel Schmuck, Fahnen, Musik, Liedern, Blumen und einem Fest, weil es eben das Kostbarste ist, was wir zu geben haben. Das ist unser Beitrag zum Wohl des Dorfes, zum Wohl unseres Gemeinwesens, ja, traditionell gesagt, zum „Heil der Welt“: dass diese Geschichte Gottes, Gottes Gebote, die Kirche Gottes, die Erfahrungen von fast 4000 Jahren Leben unter uns präsent sind und weiter Früchte bringen. Wer heute mitgeht, der sagt: Ich lebe von einem Brot, das „vom Himmel kommt“, das kein Bäcker der Welt backen kann, der bringt etwas in die Welt, was die Welt selbst nicht findet und nicht hat und durch uns doch findet und hat.
Fronleichnam A, 8. Juni 2023 | Melchingen St. Stephan | Lesungen: Dtn 8, 2–3.14–16a; 1 Kor 10,16-17; Evangelium: Joh 20,19-31 | Achim Buckenmaier