
Ich lebe nicht, weil ich nützlich bin
16. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) - Homilie:
Das Evangelium dieses Sonntags erzählt, wie wir gerade gehört haben, den Besuch Jesu bei zwei befreundeten Geschwistern, zwei Frauen, Martha und Maria. Zu ihnen gehört noch ein Dritter, der Bruder, Lazarus, der in dieser Episode aber nicht vorkommt. Dieses Evangelium ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich das Verstehen der Bibel ändern kann.
Eine Theologin hat dazu etwas sehr Hilfreiches bemerkt. Sie hat darauf hingewiesen, dass man die die Entwicklung kennen muss, die Theologie und Kirche genommen haben und die das Verstehen dieses Evangelium verändert.
Im dritten und vierten Jahrhundert ist das Mönchtum in der Kirche entstanden. Es war ein stiller, aber effektiver Protest gegen die Verbürgerlichung des Christentums. Ab dieser Zeit hat man die Geschichte von der stillen Zuhörerin Maria und der geschäftigen Gastgeberin Martha neu, das heißt anders verstanden. Man hat sie als einen Hinweis genommen auf die Unterscheidung zwischen dem aktiven Leben, der vita activa, und dem beschaulichen, klösterlichen Leben, der vita contemplativa. So ließ sich später der Vorrang des geistlichen Standes vor dem weltlichen Stand begonnen.
Als der Evangelist Lukas aber sein Evangelium geschrieben hat, gab es diese unterschiedlichen Lebensweisen noch nicht. Deshalb konnte er ganz unbefangen von der Kritik Jesu erzählen. Jesus wertet den Dienst Martas nicht ab, sondern er relativiert ihn lediglich, und zwar allein im Blick auf das eine notwendige, nämlich das Hinhören auf das Wort des Herrn.
Es geht nicht um das gegeneinander Ausspielen von zwei Lebensweisen, entweder bin ich geistlich und studiere und höre zu, oder ich bin weltlich und arbeite, habe Familie und Beruf, und habe keine Zeit für solche Besinnung. Es geht bei Lukas darum, dass alle Jüngerinnen und Jünger sich in der rechten Weise vor Gott wiederfinden. Um das hervorzuheben, spricht der Evangelist Lukas in dieser kurzen Geschichte gleich dreimal von Jesus als dem „Herrn“, also in einer ganz feierlichen Weise, wie sonst im Evangelium eigentlich nicht. Das bedeutet: Auf Jesus zu hören ist eine neue Möglichkeit, in der Welt auf Gott zu hören.
Insofern können wir die Zurechtweisung Jesu richtig verstehen. Es geht nicht darum, das Tun gegen das Nichttun auszuspielen, oder das aktive Leben, die Notwendigkeit zu handeln, in der Familie in der Gesellschaft, in der Stadt herabzusetzen. Es geht nur darum, dem, was wir tun, das richtige Gewicht zu geben und in allem den richtigen Maßstab zu finden, den Maßstab des Glaubens an Gott und den Maßstab seiner Gebote.
Heute ist die Gefahr in der Kirche nicht sehr groß, dass man das beschauliche Leben überbewertet. Klöster gibt es nicht allzu viele und wirklich kontemplative noch viel weniger. Die Tendenz ist eher eine andere, dass man das Agieren, das Handeln, das Organisieren, Planen, Veranstalten, das Sich-engagieren überbewertet, beziehungsweise es als die eigentliche Äußerungsform des Christseins findet. Christ ist man aber nicht, weil man etwas tut, weil man in einem Gremium ist, weil man eingeteilt ist und eine Aufgabe hat, weil man, wie man so sagt, engagiert ist. Christ ist man, wenn man dankbar ist, dass man dieser Geschichte Gottes begegnet ist, dass man getauft wurde und in der Kirche Brüder und Schwestern findet.
Heute gilt als guter Katholik derjenige, der engagiert ist, mitmacht und eine Aufgabe wahrnimmt. Das kann alles gut sein, wenn es von diesem Hören auf Jesus geprägt und getragen ist, vom Beten, vom gemeinsamen Gottesdienst. Man kann auch für die Kirche, für eine Pfarrei für eine Gemeinschaft ganz wichtig sein, wenn man nur noch beten kann, wenn man vielleicht ans Bett gefesselt ist und sich gar nicht mehr bewegen kann. Wenn man vor allem selber sein Leben annimmt, so wie es ist und danken kann, dann ist man vielleicht mehr nützlich als jemand, der orientierungslos und ohne den Maßstabes Jesu etwas in der Kirche dahinorganisiert.
Wir haben diese Woche davon lesen können, dass nicht nur, aber besonders ältere Menschen von dieser Überbewertung des Machens betroffen sind. Wenn man eben nichts mehr tun kann oder nur noch wenig, dass man dann lebensmüde und depressiv wird, altersdepressiv, wie man sagt. Das kann alles passieren und in Menschen hochkommen. Wir haben aber ein anderes Interesse als die Boulevardpresse, keine Neugierde auf die Schwächen von anderen, egal wer sie sind. Wir fragen uns selber. Denn der Glaube würde eigentlich eine andere Antwort anbieten: Mein Leben ist nicht nur dann ein Leben, wenn es für die Firma oder die Familie oder den Verein nützlich ist, wenn andere mich brauchen oder ich etwas tun kann. Mein Leben ist einfach mein Leben, weil Gott mich geschaffen hat und gewollt vom ersten Tag an, ganz unabhängig davon, ob ich ein Radprofi bin oder mit dem Rollator unterwegs bin, ob ich ein Schachgenie bin oder ob ich alles vergesse und mich nicht einmal mehr an meinem Namen erinnere.
Das sind sicher extreme Beispiele, aber wir schulden uns gegenseitig, dass wir einander diese Achtung des Glaubens schenken, auch für einander da sind und einander helfen, nicht in Verzweiflung oder Traurigkeit zu versinken, dass wir für einander genügend Aufmerksamkeit haben und Wachheit.
Von Abraham und Sara hat die erste Lesung erzählt und nicht viel Großes und Bedeutendes erzählt, was sie machen. Es sind ganz alltägliche Dinge, als diese drei Fremden vorbeikommen: ein Getränk holen, etwas zu essen machen und miteinander reden. Und dann stellt sich am Ende heraus, dass die drei unbekannten Gäste im Grunde ein einziger Gast war, eine Begegnung mit Gott selbst und seiner Verheißung. Was ganz unscheinbar war, mitten am Tag sozusagen vor der Haustür, wurde für Abraham und Sara zu einer Begegnung mit Gott. Diese Begegnung wurde für sie zu einer Gegenwart und Zukunft, für die sich zu leben lohnt.
Auch für uns ist diese Geschichte erzählt. Im Hören auf Jesus, im Beten, im treuen Dasein beim Gottesdienst, auch wenn ich vielleicht der Einzige weit und breit bin, erfahren wir, dass wir von G o t t gebraucht sind als Starke, aber auch als Schwache, als Schnelle und auch als Langsame, als Junge und eben auch als Alte, jeden Tag, an dem wir uns ihm anvertrauen und glauben und Zeugnis von unserem Glauben geben.
16. Sonntag im Jahreskreis C, 20. Juli 2025 | Hechingen St. Jakobus | Lesungen: Gen 18,1-10a; Kol 1,24-28; Evangelium: Lk 10,38-42 | Achim Buckenmaier