Krisen machen (keine) Pause

33. Sonntag im Jahreskreis B - Homilie:

vor ein paar Wochen war bei uns ein Gottesdienst angekündigt, der bewusst anders sein sollte als normalerweise. Das Thema war: „Die Krisen dürfen einmal Pause machen.“ Das hat mich angesprochen. Denn jeder, der in unsere Welt schaut, der die Nachrichten verfolgt, der im Internet oder der Zeitung liest, wird diesen Wunsch verstehen: dass die Krisen einmal Pause machen. Das wünscht man sich gerade nach den letzten Jahren und in unserer Zeit. Man muss kein Unheilsprophet sein und nicht depressiv durch die Welt laufen, um zu spüren, dass wir jeden Tag mit einer ununterbrochenen Abfolge von Krisen konfrontiert sind. Klimakrise, Erderwärmung, Überschwemmungen, wirtschaftliche Unsicherheiten, Krieg, Massaker, eine Gesellschaft, die an ihren Herausforderungen zu zerbrechen scheint, wo selbst ein Fußballspiel zu einem Hochsicherheitsrisiko wird. 

Das alles sind Dinge, die uns bedrängen und die diesen Wunsch hervorbringen, dass doch wenigstens einmal für eine kurze Zeit Ruhe einkehren würde und man sich einfach nur freuen und ausspannen kann.

Unglücklicherweise machen die Krisen keine Pause und mich gut fühlen kann ich offensichtlich nur, wenn ich – wie die berühmten drei Affen des Konfuzius – nichts an Unheil sehe und nichts höre und nichts sage, mich abschotte und mich in die kleine Welt meines privaten Leben zurückziehe, aber selbst dort holen sie mich ein. Es kommen persönliche Krisen, die einen bedrängen. Vielleicht die Sorge um den Arbeitsplatz oder ob die Rente reicht, ob die Familie intakt bleibt, ob ich gesund bleibe oder ob eine Krankheit mein Leben durcheinanderbringt. 

Und manche empfinden, dass diese Nöte und Unglücke nicht auch noch in der Kirche Thema sein sollten. Es ist ein richtiges Gespür, dass der Gottesdienst nicht eine Aufklärungsveranstaltung für Nachhaltigkeit ist, für politische Lösungen oder für moralische Appelle. 

Aber der Glaube ist auch keine Beruhigungspille, er ist auch kein keine Betäubungsmittel. Auf dem Altar wachsen keine Cannabispflanzen, die uns für eine kurze Zeit in eine bessere Stimmung versetzen. Deswegen hat die Liturgie den Mut, uns am Ende des Kirchenjahres, bevor die Gemütlichkeit des Glühweins über uns hereinschwappt, von den Krisen der Welt zu sprechen, ja, von  d e r  Krise schlechthin.

Das Evangelium des heutigen Sonntages und die Lesung aus dem Buch Daniel sind Texte der so genannten Apokalyptik. Also Texte, in denen es um die Deutung der Geschichte geht: Was können wir denken, wenn wir mit Krisen, Nöten, Unglücken und Katastrophen konfrontiert sind?

Weder das Evangelium noch das Daniel Buch geben uns konkrete Auskünfte über das Ende der Welt. Sie sprechen vielmehr in Bildern von der Welt, wie sie ist. Markus spricht von einer großen Not, die hereinbricht, davon, dass die Sonne sich verdunkelt, der Mond nicht mehr scheint und die Sterne vom Himmel fallen. Das sind Bilder. Sie beschreiben eine Welt, in der förmlich alles zusammenstürzt, auf dem Kopf steht, sogar die Schöpfung.

Der Evangelist Markus hat sein Evangelium in den Jahren geschrieben, in denen die römische Armee Jerusalem belagert, ausgehungert und erobert hat und alle Überlebenden hingeschlachtet hat. Die christliche Gemeinde war damals schon von Jerusalem weggegangen, nach Pella, eine Stadt östlich des Jordan, im Norden, aber sie haben mit Entsetzen auf diese Ereignisse geschaut. Warum sie damals rechtzeitig weggegangen sind, weiß man nicht. Vielleicht wollten sie den religiösen Autoritäten aus dem Weg gehen, die nicht aufhörten, die Anhänger Jesu zu verfolgen, wie sie ihn verfolgt hatten. Vielleicht haben Sie das kommende Unglück gespürt. Dass der verurteilte und gekreuzigte Jesus von Gott erweckt wurde, das war ihnen offensichtlich ein so großes Wunder, dass sie verstanden haben, dass Gott seinem Volk hilft, aber auf eine ganz andere Weise als es Menschen erwarten.

Und deswegen sind sie zu zwei großen Einsichten gekommen, woher die Sicherheit kommt und die Rettung aus der Not:

Das Erste nennt Markus: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ „Meine Worte“, das sind die Worte, die Taten und das Leben Jesu, und alles, was in der Heiligen Schrift an Erfahrung gesammelt wurde vom jüdischen Volk. Diese ersten Christen, die in einer Zeit lebten, die nicht weniger unruhig war als die unsere, haben in der Geschichte Gottes, wie sie in der Bibel und der Überlieferung Israels festgehalten ist, die eigentliche Rettung gesehen, das, was im tiefsten stabil ist, stabiler als die Sterne am Himmel. Nicht die Kosmologie hat ihnen geholfen, sondern die Theologie, die Deutung der Geschichte.

Diese Woche haben wir in St. Luzen mit den 3-G-Abenden angefangen, um über das Glaubensbekenntnis nachzudenken. Dieser erste Abend war ganz besonders: Wir waren, vielleicht zum ersten Mal, aus verschiedenen Orten des Dekanats gekommen, von Grosselfingen, Betra bis Ringingen, nicht um die (notwendigen) Fragen der Organisation und Struktur der neuen Pfarrei zu besprechen, sondern 'nur' den Boden, auf dem alles stehen muss: Unseren gemeinsamen Glauben. Die Geschichte Gottes mit den Menschen, wie sie im Credo verdichtet ist. Das ist auf jeden Fall etwas Besonderes, weil es nicht um das Wie der Strukturen geht, sondern um das Was des Glaubens. Nicht von uns ist die Rede, sondern von Gott und seinem Handeln.

Und die zweite Sicherheit, die die frühen Christen gewonnen hatten, ist im Buch Daniel genannt: „Die Verständigen werden strahlen wie der Himmel strahlt, und diejenigen, die viele zum rechten tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten.“

Die Nachrichten, die posts und Bilder unserer Tage sagen uns: die Stars, d.h. die Sterne am Boulevardhimmel, die Autokraten, die Milliardäre, sind die wichtigen und entscheidenden Menschen. Trump, Musk und Taylor Swift sind diejenigen, auf die es ankommt. Die Erfahrung des Gottesvolkes sagt: Nein, diejenigen, die andere zum rechten Tun führen, sind die Sterne, die Orientierung geben, sind die Leuchtzeichen, die Leitplanken für ein richtiges und gutes Leben. Wer sind sie? Es sind vor allem gläubige Eltern, Väter und Mütter, veilleicht auch Oma und Opa, die ihren Kindern zeigen, wie man ein rechtschaffenes und aufrechtes Leben führt, die sich jeden Tag bemühen, ihnen zu helfen, sich in der Welt, in den Medien, in den Trends zurechtzufinden, und die ihnen durch ihr eigenes Leben eine andere Welt zeigen, ein Leben, das von Gott und seiner Art zu leben geprägt ist. Das sind die wahren Protagonisten unseres Lebens.

Eine Sicherheit ist es auch zu wissen, dass es in allen Jahrhunderten solche Menschen gegeben hat, solche, die das Danielbuch die Verständigen, also die Vernünftigen nennt, weil sie nach Gottes Geboten gelebt haben.

Heute morgen wird Kardinal Koch in Freiburg den Priester Max Metzger selig sprechen. Er stammt aus unserer Diözese, aus Schopfheim im Wiesental. Weil er sich während der Nazizeit in der katholischen Friedensbewegung und der Ökumene engagierte und an Ideen für ein friedliches und gerechtes Deutschland nach dem Krieg arbeitete, wurde er 1943 in einem Scheinprozess zum Tode verurteilt und 1944 enthauptet. 

Er war 57 Jahre alt und hätte noch ein gutes und erfülltes Leben führen und viel für die Kirche tun können. Selbst in Todesgefahr hielt er an seiner Überzeugung fest, dass Gott der Herr der Welt und der Herr der Geschichte ist, nicht der Herrscher und Führer, und dass menschliche Macht nicht unbegrenzt ist, sondern an Gottes Gebote, Würde, Freiheit und Gerechtigkeit gebunden ist. Dafür zu sterben, wurde von den entscheidenden Leuten, den Machthabern damals als sinnlos und unnötig angesehen.

Als Menschen, die glauben wollen, sehen auch wir uns oft in der Minderheit. Der Glaube wird als irrational, unverständlich, unvernünftig, unsinnig und überhaupt veraltet und nutzlos betrachtet.

Der heutige Sonntag zeichnet uns ein anderes Bild. Er zeigt uns, wo unsere Sicherheit ist. Und er zeigt uns unsere Herausforderung und unseren Auftrag: die eigentliche Not, Krise und das Unglück für die Welt wäre, wenn die Glaubenden, das Gottesvolk Gottes Wort nicht mehr verkünden, nicht mehr leben und nicht mehr darauf setzen. Das ist unsere Aufgabe und die Weise, wie wir der friedlosen Welt helfen können, ohne in eine Kuschelzone abzutauchen, und wie wir damit auch uns selbst helfen.

33. Sonntag im Jahreskreis B, 16./17. November 2024 | Weilheim St. Marien; Burladingen St. Georg Comunità italiana cattolica; Hechingen St. Jakobus  |  Lesungen: Dan12,1-3; Hebr 10,11-14.18; Evangelium: Mk 13,24-32  |  Achim Buckenmaier