
Petrus und Paulus: Was der Glaube ist
Hochfest Petrus und Paulus - Sonntag, 29. Juni 2025, Homilie:
Die drei biblischen Texte – die Apostelgeschichte, der Ausschnitt aus dem zweiten Timotheusbrief und das Evangelium nach Matthäus mit der Frage, wer Jesus ist –, sind für das heutige Fest, den Festtag der heiligen Petrus und Paulus herausgesucht. Es geht also um diese beiden großen Heiligen. Aber es geht auch um uns. Ich geht um unseren Glauben, um unser Christsein und damit um die Frage, wie wir als Christen leben können. Die drei Texte, die wir gehört haben, bieten eine Unterscheidungslehre, das heißt eine Art Aufklärung über das Wesen des biblischen Glaubens. Fragen wir also: Was wird heute aufgeklärt? Und worin besteht das andere, das Unterscheidende des biblischen Glaubens?
Schauen wir auf die Religionen im Allgemeinen, auf die großen Religionen des Ostens und auf die vielen Naturreligionen und religiösen Äußerungen in der Welt. Dann sieht man, dass Religion im Allgemeinen dazu neigt, die Verantwortung von den Menschen wegzunehmen und auf Gott zu lenken. Das kommt besonders in den Gebeten zum Ausdruck. Gott soll die Felder und die Frauen und die Männer fruchtbar machen. Er soll es regnen lassen. Er soll die Hungernden satt machen. Er soll den Arbeitslosen Arbeit verschaffen. Mir am besten noch einen Lottogewinn ermöglichen und ganz allgemein die Welt retten. Wenn dann etwas passiert in der Welt, ein Verkehrsunfall, eine Naturkatastrophe, eine Messerattacke oder der Tod eines lieben Menschen dann schreiben wir auf die Plakate und die Kartons zwischen die Kerzen: Warum? Warum hat Gott das zugelassen?
Da man offensichtlich Gott nicht direkt eingreifen sieht und ihn auch nicht auf WhatsApp oder Signal erreicht, und da er die Warum-Frage auch nicht beantwortet, sieht man, dass diese Zuschreibungen, Erwartungen und Fragen keinen Sinn machen. Sie sind verständlich und menschlich, aber ihnen fehlt die Einsicht eines aufgeklärten Glaubens.
Was mit einem solchen „aufgeklärten Glauben“ gemeint ist, kann man an diesen drei biblischen Texten, den heutigen Lesungen und dem Evangelium sehen.
Ich möchte zuerst einmal auf die Geschichte mit der Gefangenenbefreiung des Petrus schauen. Es ist eine Geschichte mit sehr legendarischen Zügen, aber sie zeugt von dem großen Vertrauen, dass die ersten Christen, die erste Gemeinde in Jerusalem in Gottes Wirken und Beistand hatten. Und auch in ihren Details spricht sie vom Besonderen des Glaubens Israels.
In dieser Geschichte gibt es eine kleine, aber wichtige Notiz: Von dem Engel des Herrn, der kommt, um Petrus zu befreien, wird gesagt, dass er Petrus in die Seite stößt und ihn aufweckt und ihm sagt: „Schnell, schnell, steh auf!“ Das heißt, es ist Gottes Nähe und Fürsorge, die Petrus befreit – dafür steht der Engel –, aber Petrus muss selber etwas tun. Er wird ein wenig unsanft geweckt und bekommt gesagt: Auf, los, schnell! Das heißt er muss mittun. Ohne seine Wachheit und ohne die Bereitschaft, schnell zu reagieren, kann ihn Gott nicht befreien.
Diese kleine Episode erinnert an den Auszug Israels aus Ägypten, als das Volk durch das Rote Meer zieht. Da wird in der Bibel erzählt, dass die Israeliten plötzlich Angst bekommen, weil das ägyptische Heer hinter ihnen her ist, und sie fangen an, zu schreien und zu Gott zu beten. Dadurch gerät auch Mose unter Druck und schreit zu Gott. Und dann sagt Gott zu Mose das schöne Wort. „Warum schreist du zu mir? Sag den Israeliten, sie sollen laufen…!“ (Ex 14,15)
Deswegen heißt es auch am Ende der Geschichte, als Petrus auf wundersame Weise aus dem Gefängnis geht und frei auf die Straße tritt: „…sogleich verließ ihn der Engel.“ Lukas hat dasselbe erzählt, wo er in seinem Evangelium von der Begegnung Marias mit dem Verkündigungsengel berichtet: „…danach verließ sie der Engel.“
Also erst wenn der Mensch sich aufwecken, ja aufschrecken lässt, seine Kräfte mobilisiert und selber will und mittut, kann Gott befreien und wirken. Gott handelt nicht anstelle des Menschen. Er gibt den Anstoß. Er überwindet die menschliche Angst, das Zögern. Der „Engel“, das ist das Bild für den Impuls Gottes, die Nachricht, den Hinweis Gottes auf das, was getan werden muss. Aber mehr ist es nicht. Der Engel ist weg, aber der Auftrag ist da. Jetzt muss der Mensch handeln.
Dieses Gesetz des biblischen Glaubens prägt auch die zweite Lesung, den Brief des Apostels Paulus an seinen Mitarbeiter Timotheus. Der Brief ist wie ein Testament, in dem Paulus noch einmal auf sein Leben zurückschaut. Und er sagt – auch das haben wir gehört: „Ich habe den guten Kampf gekämpft und den Wettlauf gewonnen…“ Paulus hat in seinen Briefen viel von Gnade gesprochen und von dem, dass das Eigentliche der Glaube ist, aber hier bekennt er, dass er eben auch mitgegangen ist, mitgehen musste. Er bezeichnet das Christsein nicht als ein Gefühl und eine Überwältigung, sondern als einen Kampf und als einen Wettlauf. Erlösung, Heil, ewiges Leben, Erfüllung… All das sind nicht Selbstläufer, sondern brauchen das Vertrauen und die Energie des Menschen, auch eine Art Kampfbereitschaft, die weiß, dass ein gläubiges Leben kein Spaziergang ist, sondern immer eine Auseinandersetzung mit der Welt und auch mit sich selber.
Und zuletzt im Evangelium kommt dieser Gedanke, dass Gott Mitwirkende braucht, damit er in der Welt wirken kann, ebenso deutlich vor. Am Ende dieses Abschnitts von heute hat es geheißen: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben. Was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.“ Das ist fast ein wenig anstößig, dass einem Menschen, einem Fischer, einem Unternehmer mit einer kleinen Fangflotte auf einem See im Nahen Osten, dass dem die Schlüssel des Himmelreiches gegeben werden. Aber das ist das Anstößige des christlichen Glaubens, des biblischen Glaubens: Dass uns Gott seine Sache ganz anvertraut, dass er uns die Verantwortung übergibt, für die Welt, für ihr Schicksal.
Die Kirche und wir Christen in ihr sind nicht für uns selbst da. Es geht weder darum, dass wir uns wohl fühlen und uns selbstverwirklichen können, noch darum, dass die Kirche so ist, wie wir sie uns wünschen. Es geht vielmehr darum, dass wir Gott helfen, alles was auf der Erde gebunden und verknotet ist, was sich verkantet und verhakt hat in den Beziehungen und der Welt, dass wir Gott helfen, aufzulösen, zu lösen.
Immer wieder begegne ich in unserem Pfarreien Menschen, die diese Arbeit des Lösens und Auflösens und des Befreiens tun, meist auf eine ganz stille, fast unsichtbare und unspektakuläre Weise. Sie vergeben, obwohl ihnen Unrecht getan wurde, sie verbreiten Freude und Zuversicht, obwohl sie enttäuscht wurden und bitter werden könnten, sie kümmern sich um Kinder, Alte, Kranke, machen Besuche, rufen an, obwohl sie selber Lasten zu tragen haben. In ihnen ist die Kirche gegenwärtig. Durch sie kann Gott heilen und befreien. Bei ihnen kann man lernen, was dieses biblische Gestz des Glaubens bedeutet - Handeln für Gott -, also was es heißt, an Jesus als den Messias zu glauben, den „Sohn des lebendigen Gottes“, so wie es Petrus formuliert hat. Die Texte von heute mit ihrer Unterscheidungslehre und Aufklärung sind vielleicht auch so etwas wie ein kleiner Stoß in unsere Seite, damit wir aufwachen und so Gott helfen bei der Heilung und Reparatur unserer so beschädigten Welt.
Hll. Petrus und Paulus, 28./29. Juni 2025 | Hausen im Killertal St. Nikolaus; Hechingen St. Jakobus | Lesungen: Apg 12,1-11; 2 Tim 46-8.17-18; Evangelium: Mt 16,13-19 | Achim Buckenmaier