Vom Verlieren und Wiederfinden

Dreifaltigkeitssonntag (Lesejahr C) -Homilie:

Gestern haben wir in Sickingen das Fest des Heiligen Antonius als Patrozinium gefeiert. Der heilige Antonius von Padua ist ja der Patron dieser kleinen Kirche in unserem Stadtteil Sickingen. Er ist aber auch sonst relativ bekannt und populär. Ein bisschen kitschig ist er bisweilen dargestellt, mit dem Jesus Kind auf dem Arm und dazu kommt die etwas einseitige Inanspruchnahme als Fürsprecher bei verlorenen Dingen, Schlüsseln, Eheringen und anderen Sachen, die man sucht. 

Die historische Wirklichkeit ist etwas differenzierter. Antonius von Padua war ein Zeitgenosse und dann Gefährte von Franz von Assisi. Franziskus hat erkannt, dass er für seine Armutsbewegung auch Theologen braucht, wenn er in die Welt hineinwirken will. Und weil Antonius gut ausgebildet war als Theologe, hatte er ihm diese Aufgabe anvertraut, Menschen nicht nur durch das gelebte Zeugnis der Armut, sondern auch durch die Kraft der Vernunft und der Argumente zu Jesus zu führen.

Mit dieser Aufgabe als Theologe ist Antonius ganz nah am heutigen Fest der Dreifaltigkeit Gottes, das ja ein spezifisch christliches und damit auch theologisches Fest ist. Und obwohl wir mit jedem Kreuzzeichen „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ und mit jeder Formel „Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist“ diese Wahrheit bekennen, gehört die Aussage, dass Gott ein dreifaltiger Gott ist, doch eher zu den Dingen, für wenig präsent sind im Bewusstsein. Das will ich zum Anlass nehmen, heute etwas tiefer in die Geschichte hineinzuschauen.

Das Verlieren und Wiederfinden ist in der Bibel ein relativ gängiges Motiv. Gott selbst ist es, der immer wieder sein Volk verliert, weil das Volk sein will wie alle anderen Völker. Dann geht Gott eines eigenen Volkes verlustig.  Auch Jesus hat diese Motive benutzt. Eines der schönsten Gleichnisse ist das vom verlorenen Sohn im Lukasevangelium oder auch die Geschichte, in der eine Frau ihren Brautschmuck verliert im Haus und anfängt, überall zu suchen, und dann diese Kostbarkeit schließlich wieder findet. In der Tat geht immer viel verloren im Leben. Aber wenn wir auf die Kirche sehen, geht es nicht nur um Tabernakelschlüssel oder die Lautsprecheranlage, die man verlegt hat und gerade nicht findet. 

In der Kirche ist vor allem eines verloren gegangen: das tiefe, innere Wissen, dass die Kirche aus dem jüdischen Volk kommt, dass das Christentum vom Judentum nicht nur geprägt war, sondern auch für alle Zeiten geprägt ist und sein muss. Zwei Dinge vor allem sind uns verloren gegangen auf dieser Verluststrecke. 

Das erste ist das Wissen, dass wir ein Volk sind. Israel ist ein Volk, das jüdische Volk. Ihm verdanken wir das Bekenntnis zum einen Gott, das auch wir Christen ganz teilen. Wir Christen sind nicht ein Volk im ethnischen Sinne, sondern ein Volk aus vielen Völkern. Was heißt aber: ein Volk sein als Christen? 

Es bedeutet vor allem Solidarität, dass man weiß, niemand ist allein und kann allein glauben. Es bedeutet, dass man zueinander gehört, egal ob man sich sympathisch ist oder nicht, ob man sich versteht oder nicht, ob man gute Laune hat oder schlechte Laune. Es bedeutet eine unverwüstliche Treue. Eine Verpflichtung zusammen zu sein an den wichtigen Tagen des Lebens und des Jahres. Dass uns genau diese Sicherheit des jüdischen Volkes verloren gegangen ist, das sieht man daran, dass von Gemeinde zu reden, von Gemeinschaft, von Sich-versammeln, um beisammen sein an den Festtagen, dass dies das Allerungewöhnlichste ist, was man in der Kirche hören kann. Stattdessen gibt es 1000 Aktivitäten. Die kirchlichen Stellen überschwemmen uns mit Angeboten, Fortbildungen, mit Newsletter, Videos und allem Möglichen. aber das Nächstliegende, das selbstverständliche und regelmäßige Zusammensein am Sonntag steht eher unter Verdacht, ein klerikales Gebot zu sein, damit die Priester beschäftigt sind. 

Es gibt eine Freude und die Schönheit miteinander zu sein, auch wenn man nicht verwandt miteinander ist, auch wenn man alleinstehend ist. Es ist eine  Freude, miteinander zu essen, füreinander einzustehen, die Sicherheit zu kennen, Brüder und Schwestern an meiner Seite zu haben. Ein Volk zu sein, wie es uns Israel zeigt, zu verlieren, ist ein Schaden – für die Kirche, für uns, für unsere Welt. Das zu suchen und zu erfahren, ist ein beispielloser Gewinn. 

Das Zweite, was wir mit dem Verlust der jüdischen Prägung verloren haben, ist die Liebe zur Welt. Christentum ist im Wesentlichen eine Religion geworden. Eine Spiritualität, aber nicht mehr eine Lebensform. Der Glaube bezieht sich auf Geistiges, auf Gebet und Andacht, aber nicht mehr auf die Frage, wie gestalten wir ein Leben gemeinsam, das die Gegenwart Gottes in der Welt und die verwandelnde der Kraft des Glaubens zeigt. Das Judentum besteht im Wesentlichen in der Freude, die Welt zu gestalten und Gott sozusagen in alle Ritzen unseres Lebens die Nase hineinstecken zu lassen. 

Wenn es um Spiritualität geht, um die Seele und das Wohlbefinden des geistigen Lebens, dann sind wir schnell da. Aber die Welt mit der Wirtschaft, den Finanzen, den alltäglichen Fragen, die klammern wir aus dem Glauben und der Kirche aus, und sie bleiben im wahrsten Sinne des Wortes unerlöst. In den schwierigen Fragen, wie man mit Pflege und Krankheit umgeht, lassen wir einige wenige allein, die die Verantwortung tragen. 

In dem Sorgen, wie die Kinder und Jugendlichen mit den immensen Herausforderungen der digitalen Welt umgehen, mit künstlicher Intelligenz, mit der Macht der Influencer und dem Diktat einen perfekten Körper zu haben und vielem mehr, da lassen wir uns gegenseitig weitgehend allein und kümmern uns stattdessen um innerkirchliche Fragen, Träume und Wünsche. Es gibt eine Freude, Verantwortung zu übernehmen und die Welt zu gestalten. Es gibt eine Freude aus der Pflicht, sich mit dem Hässlichen und dem Chaos in der Welt nicht zufrieden zu geben, mit Streit und Entzweiung, eine Gestaltungsaufgabe und Gestaltungsfreude, die das ganze Alte Testament durchzieht.

Das Bekenntnis zur Dreifaltigkeit, zum dreieinen Gott, ist das Bekenntnis, dass Gott in der Welt gehandelt hat und handeln will: Als der Schöpfer aller Dinge, als der Sohn der Mensch geworden ist wie wir, als der Geist Gottes, der sein Werk in der Welt fortsetzen will, durch uns, durch sein Volk. Die Dreifaltigkeit Gottes ist kein philosophisches Postulat, sondern eine geschichtliche Erfahrung, die uns aus der Tiefe des Gottes Volkes entgegenkommt und uns den Mut gibt, das zu suchen und wieder zu finden, was verloren gegangen ist. Was zur Seite gelegt ist in der Kirche, was wie verloren ist, ist, dass Gott ein Volk braucht, um in der Welt handeln zu können, dass wir also zu einer realen Gemeinschaft gerufen sind und dazu, diese Welt zu verändern zum Besseren und Freude daran finden können.

Jede Eucharistie ist ein Anfang dieser Suche und zugleich das Versprechen, dass sich der Anfang immer wieder finden lässt, auch im Kleinen, auch in einer kleinen Versammlung, auch mit wenigen, die aber ihr Herz aufmachen. Der Geist Gottes wirkt das, was Jesus wollte, und Jesus wirkt das, was Gott will. Das ist das spezifische, einzigartige Bekenntnis des Christentums – ohne dass man sozusagen in Gott hineinschauen könnte –, eine Erfahrung der ersten Jünger, die als Juden wussten und daran festhielten, dass es nur den einen Gott gibt. 

Eine Gemeinschaft sein wie Vater, Sohn und Heiliger Geist, ein Volk mit der Verantwortung für diese Welt, damit sie Seine Welt wird, das ist unsere Aufgabe. Und jede Eucharistie ist ein Anfang, diese Berufung wiederzufinden.

Dreifaltigkeitssonntag, 14./15. Juni 2025 | Hechingen St. Jakobus; Sickingen St. Antonius; Comunità Cattolica Italiana Burladingen  |  Lesungen: Spr 8,22-25; Röm 5,1-5; Evangelium: Joh 16,12-15  |  Achim Buckenmaier