
Was es gilt zu tun
14. Sonntag i. Jkr. C - Homilie:
In der vergangenen Woche habe ich einen sehr klugen Artikel in einer theologischen Zeitschrift gelesen, in dem der Autor, der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück, am Ende über die Zukunft der Kirche folgendes sagt:
„Um aber eine assimilatorische Selbstverflüssigung des Katholischen zu vermeiden, gilt es die biblischen Geschichten weiter zu erzählen und deren lebensorientierende Kraft zum Leuchten bringen, gilt es, in die Praktiken des Gebets und der regelmäßigen Feier der Liturgie einweisen, gilt es, die theologische Reflexion wieder verstärkt auf die Mysterien des Glaubens ausrichten – und von dort her Brückenschläge zu gesellschaftlichen Entwicklungen herzustellen, aber auch Kritik an Fehlentwicklungen zu üben.“ (in: Communio 2025)
Was da vielleicht etwas kompliziert ausgedrückt ist, ist eine starke Notwendigkeit, damit unsere Kirche als Kirche am Leben bleibt – der Autor sagt: damit sich die katholische Kirche nicht auf der Anpassungsschiene verflüssigt, also auflöst. Viele, auch in der Kirche, sehen ja diese Auflösung, in den traditionellen Strukturen der Gremien, in den Kirchenaustritten, in den wenigen Gläubigen, die zum Gottesdienst kommen. Woran liegt es? Was machen wir falsch? Was kann man tun?
Anders als die gängigen und wohlfeilen Forderungen nach Strukturreformen, Änderungen im kirchlichen Amt oder der Morallehre werden in dem Zitat drei Dinge genannt, die es gilt zu tun:
- Die biblischen Geschichten ganz konkret kennen und weitererzählen und ihre Kraft zum Leuchten zu bringen, die Orientierung für unser heutigen Leben bietet.
- Lehren wie man betet, auch persönlich beten können, jeden Tag, nicht nur im Pulk sozusagen. Sonntags Gottesdienst feiern, reflektieren, nachdenken über die Geschichte, damit ich mich und mein Leben überhaupt verstehe und bewältige. Einführen in die Selbstverständlichkeit, dass das Beten zur Kirche gehört, zu ihren Unternehmungen, zu ihren Konferenzen und Sitzungen: nicht einfach nur „geistliche Impulse“, sondern persönliches Gebet und gemeinsames Bitten.
- Die Sakramente wieder verstehen, die nicht eine religiöse Verzierung an Lebenswenden sind, die man sich vom Serviceunternehmen Kirche abholt, sondern ihre Theologie verstehen: dass Gott weiter an und mit uns handelt, und in unserem Leben vorkommt, ermutigend und korrigierend, unser Leben ergreifend.
Gerade für das erste, die biblischen Geschichten kennenlernen und weitererzählen, bietet jeder Gottesdienst einen breiten Raum. An jedem Sonntag werden zwei Lesungen, ein Evangelium gelesen, dazu noch ein Psalm. Meistens kommt irgendeine Geschichte vor, die man wirklich weitererzählen kann.
Jedenfalls an diesem Sonntag ist es so mit dieser Erzählung von der Aussendung der Jünger. Wenn wir es weitererzählen wollen, und vor allem, wenn es „lebensorientierende Kraft“ haben soll, also uns helfen soll, als Christen zu leben, dann müssen wir es verstehen. Das ist der Sinn und das Angebot der Predigt. Nicht Abkanzeln, nicht nette Geschichtchen, nicht Moralin, sondern Erklären und Auslegen, damit sie nicht fremde, alte Texte sind, sondern als das zum Leuchten kommen, was sie sind: Gotteswort, also das eigentliche Wort, das uns hilft.
Wie ist es mit dem Evangelium von heute? Wir können es etwas abklopfen und wenigstens vier Sätze daraus aufschlüsseln.
- Das Erste ist, dass Jesus die Jünger aussendet, um Kranke zu heilen. „Heilt die Kranken, die dort sind und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist nahe.“ Sie müssen sich also um das Leben kümmern, nicht um das Verständnis vom Leben. Ihre Taten müssen ihren Worten vorausgehen.
- Deswegen ist es wichtig, dass Jesus die Jünger paarweise aussendet, immer zu zweit. Frieden kann man nicht allein bringen, sondern ihn immer nur zeigen, eben dadurch, dass zwei verschiedene Menschen in Frieden miteinander kommen und leben.
- Und sie werden in die Häuser geschickt und in die Städte, d.h. dorthin, wo das Leben ist. Haus und Stadt sind Bilder für das enge, familiäre Leben und den größeren Kontext den Rahmen, die Gesellschaft. „Esst und trinkt, was man euch vorsetzt“, das schärft den Jüngern gleich zweimal ein. Das Essen und Trinken ist mehr als Nahrungsaufnahme. Man könnte denken: Das ist doch das aller Selbstverständlichste. Warum betont er es so? Dass Jesus es hier so hervorhebt, ist, weil er eben das tägliche Leben für so wichtig erachtet. Weil zum Christsein die Tischgemeinschaft gehört. Das Ziel des Reiches Gottes ist nicht im Inneren des Menschen verborgen, in seinem Herzen oder in seiner Seele, sondern das Reich Gottes wird dann Wirklichkeit, wenn es eine Gesellschaft hervorbringt.
- Schließlich gibt es da noch die eigenartige Anweisung, niemand auf dem Weg zu grüßen. Man versteht dieses Wort nur, wenn man die ausgedehnten Begrüßungsrituale des Orients kennt, die um höflich zu sein, lange und ausgedehnt sein müssen. Die Jünger sollen sich nicht damit aufhalten. Das heißt, sie sollen verstehen, dass ihr Auftrag dringlich ist und Priorität verdient: „Heilt die Kranken, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist nahe“, das ist keine Nebensache. In einem Notfall – und Kranksein ist ein solcher – dürfen sie sich nicht mit Höflichkeiten aufhalten. Die Not und der Auftrag verdienen Eile und Vorrang.
Ich hatte am Anfang diesen Artikel zitiert, der sagt, dass eine zentrale Aufgabe für Reform und Glaubwürdigkeit der Kirche es ist, die biblischen Geschichten weiter zu erzählen und deren lebensorientierende Kraft zum Leuchten bringen. Worin besteht nun diese Kraft, die unserem alltäglichen Leben als Christen hilft und es orientiert?
Wenn man diese vier Elemente des Evangeliums versteht, dann bringen sie erstaunlicherweise ihre orientierende Kraft zum Leuchten, das heißt sie zeigen uns, was wichtig und was nicht wichtig ist in einem Leben in der Nachfolge Jesu.
- Die Bemerkung, dass Jesus die Jünger aussendet, um Kranke zu heilen und ihnen die Nähe der Gottesherrschaft zu vermitteln, zeigt uns, dass Christsein nicht eine religiöse Sonderwelt ist, sondern im realen Leben mit seinen Sorgen und Erfordernissen stattfindet. Jesus schickt sie in die Orte, in die er selber gehen will. Die Kirche ist nicht automatisch da, wo kirchliche Ämter und Mitbestimmung sind. Sie ist auch nicht da, wo die sogenannte Spiritualität gepflegt wird, die hauptsächlich um das eigene Befinden kreist. Der Auftrag, Kranke zu heilen, steht dafür, dass die wichtigsten „Ämter“ in der Kirche von denen ausgefüllt werden, die jeden Tag sich anderen Menschen zu wenden, den Kindern, den Enkeln, eben Kranken, jene, die in einer christlichen Gemeinde einfach offene Augen haben für die Nöte der anderen und für das, was die Gemeinschaft braucht. So zu leben bedeutet, dort zu sein, wo Jesus hinkommen will, also ihn zu repräsentieren. Das ist weit mehr, als eine amtliche oder liturgische Repräsentation Christi.
- Die Tatsache, dass Jesus die Jünger zu zweit ausschickt, ist eines der Dinge, die in der Kirche ganz vergessen worden ist. Wenn man auf das professionelle Personal der Kirche blickt, die Pfarrer und die anderen pastoralen Ämter, dann sieht man, dass die Kirche uns meist allein schickt oder geschickt hat. Für uns Leben als Christen sagt es aber, dass das „Zu zweit“ mehr ist als Aktivitäten als einzelner. Und dass die Mühe des Miteinanders mehr dem Willen Jesu entspricht, als die Leistungen und das Tun als einzelner.
- Und damit hängt auch das Dritte zusammen: Jesus betont zweimal: „Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet. (…) Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt…“ Es ist erstaunlich, wie wichtig ihm dieses Essen und Trinken ist. Die Jünger könnten auch in ein Hotel gehen oder am Imbissstand sich noch schnell etwas holen. Leben als Christ und Verkündigung des Evangeliums hat aber offensichtlich etwas mit „essen und trinken“ zu tun. Wenn Menschen hier in den Gottesdienst kommen, finden sie auch solche Tische, finden sie Tischgemeinschaft? Das geht nicht, indem man ein paar Partytischchen aufstellt. Wir haben jeden Monat Taufen, wir haben Wiedereintritte in die Kirche, Konversionen, zum Beispiel nächste Woche, Aufnahmen in die Kirche… Gibt es Häuser, in die solche Personen eingeladen werden können? Wäre das sogenannte „Gemeindehaus“ nicht auch ein solcher Ort, nicht nur für Sitzungen oder für außergewöhnliche Feste, für allerlei Verabschiedungen? Wo gibt es „Begrüßungen“?
- All das führt uns zum letzten Punkt, den ich nennen will, zur Tatsache überhaupt, dass Jesus Jünger aussendet. In der Vulgata, der lateinischen Übersetzung der Bibel, steht hier zweimal das Wort "mittere". "Dominus misit" – Der Herr sandte aus. "Ut mitat operarios…" Damit er Arbeiter aussende… Von "mittere" kommt unser Wort Mission. Heute redet man weniger davon. „Nur nicht missionieren“, hat vor kurzem jemand in einem Dienstgespräch gesagt. Mission, Verkündigung des Evangeliums scheint etwas Unanständiges zu sein, als ob man jemand eine falsche Tablette verschreiben würde. Ohne Mission, das heißt ohne unser missionarisches Leben, wäre die Kirche eine NGO, eine Organisation für ein nachhaltiges Leben, eine gute Work-Life-Balance oder ein Geselligkeitsverein von der Kinderbetreuung bis zum Seniorenstammtisch. Ohne diesen Auftrag anzugehen, traditionell gesagt: Ohne Mission, ohne Evangelisierung, verflüssigt sich die Kirche und gibt sich auf. Wer wollte schon zu einer Gemeinschaft, zu einer Gruppe gehören, für deren Ziele er sich schämt oder zu der jemanden einzuladen, er peinlich findet? Und wenn wir jeden Tag in die Nachrichten schauen, die private Nachrichten auf den Social Media Kanälen oder die globale Nachrichten, dann können wir sehen, dass unser Christsein eine Eile haben muss, dass man eigentlich keinen Tag vergehen lassen darf, ohne dass es nach außen wirkt, und das Kostbarste der Welt zeigt, was man haben kann: Das Wissen, dass und wie Krankheiten, Nöte, Ängste, Schuld geheilt werden kann. Weil wir wissen und so leben: Gott und seine Welt sind da. Das Reich Gottes ist nahe.
Jesus hat sich über seine Jünger gefreut, dass sie so gegangen sind, wie er es ihnen sagte, zwei und zwei, dass sie Tische und Mahlzeiten gefunden hatten, dass Kranke durch ihre Hände heil und Ängste vertrieben wurden. Er freut sich auch, wenn wir das Richtige in der Kirche tun, das Vorrangige, seine Geschichte verstehen und weitererzählen, und wenn wir dann in seinem Auftrag gehen.
14. Sonntag i. Jkr. C, 14./15. Juli 2025 | Beuren St. Johannes d.T.; Hechingen St. Jakobus | Lesungen: Jes 66, 10–14; Gal 6, 14–18; Evangelium: Lk 10, 1–12.17–20 | Achim Buckenmaier