Der Winzer, der auch abschneidet

Fünfter Sonntag der Osterzeit B 27./28.A pril 2024 - Homilie:

An diesem Sonntag ist das Evangelium sehr klar und eindeutig. Es erzählt uns einfach, was Jesus vom Verhältnis zwischen ihm und seinen Jüngern sagt. Jesus verwendet dafür ein Bild. Das Bild ist das eines Weinstocks und der Reben. 

Ein Weinstock ist der Stamm mit Wurzeln tief in der Erde, die Weinreben sind das, was man als Pflanze sieht, die Form der Weinpflanze mit Blättern und Trauben. Für jeden, der auch nur ein bisschen Pflanzen kennt, ist es logisch: Reben kann es nur geben, wenn sie am Weinstock wachsen.

Dieser kleine Abschnitt des Johannes-Evangeliums, den wir heute gehört haben, hat dennoch eine Besonderheit. Sie haben das sicher gehört. Wenn man eine Suchmaschine über den Text gehen lässt, zeigt sich etwas Außergwöhnliches: Sieben Mal kommt das Wort „Frucht bringen“ vor, neun Mal das Wort „bleiben“. Das ist sehr auffällig. Es ist klar, dass das kein Zufall ist. Die Zuhörer Jesu, die Jünger, und die ersten Leser des Evangeliums wussten, was das bedeutet. 

Die Propheten Israels haben das Gottesvolk, Israel, oft mit einem Weinberg verglichen, mit einer Pflanzung, die Gott angelegt hat. Der Winzer ist Gott. Das sind schöne Bilder für eine Wirklichkeit, die das jüdische Volk erfahren hat. Gott kümmert sich um dieses Volk wie ein Winzer sich um seinen Weinberg kümmert. Gott hat den Boden bearbeitet, indem er Israel die Torah gegeben hat, die Gebote, eine Lebensordnung, eine Sozialordnung für das Zusammenleben als Gesellschaft. Er beschützt den Weinberg, indem er das Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Er beschneidet die Reben und veredelt sie, indem er Propheten aufweckt im Volk, die Israel immer wieder kritisieren und so zu neuen Einsichten führen. 

Und: Der Winzer erwartet gute Früchte. Ein Weinberg ist ja nicht einfach so da. Er soll einen Ertrag bringen, eben Früchte: gute Trauben und am Ende einen guten Wein. Die Früchte, für die Gott arbeitet und die er sich von seinem Volk Israel erwartet, sind: Eine Gesellschaft, in der Solidarität, Gerechtigkeit, Vergebung und Frieden herrschen. 

Ein kleines Volk, an dem sich andere Völker orientieren und abschauen können, wie man anders leben kann, gerecht, solidarisch. Eine Gesellschaft, von der man lernen kann, wie man in Frieden miteinander leben kann. Das ist das, was Gott sich erhofft von seinen Leuten, von seinem Weinberg. Gute Früchte, das heißt positive Auswirkungen.

Wie kann das gelingen? 

Das Schlüsselwort ist „bleiben“, „in ihm bleiben“, „in Jesus bleiben“. Was bedeutet „in Christus bleiben“? Es bedeutet vor allem, beieinanderbleiben. Aber es ist auch noch mehr. Es ist nicht einfach, dass man in der Kirche Geselligkeit hat, ein Feld, wo man mit anderen „etwas macht“. Es heißt ja nicht einfach „bleiben“, sondern „i n   i h m  bleiben“. Wenn  i c h  persönlich nicht bei Gott bleiben will, wenn ich kein Verhältnis zu ihm habe, nicht mit ihm spreche, bete, dann wird das Bleiben in der Kirche zu einem puren Arbeitsverhältnis, zu einer Art Mitgliedschaft in einem Verein, in einer Partei oder bei der AOK.

Es gibt heute viele Gründe, sich vom Glauben abzuwenden, vom Christentum zu verabschieden, die Kirche hinter sich zu lassen. Die jahrhundertelange Borniertheit der Kirche, der Zwang und die Gewalt über Menschen, die Skandale heute, die Kirchensteuer und vieles andere mehr.

Und zugleich wird über vieles in der Welt geklagt. Vieles wird bedauert: Mangelnde Solidarität. Für mache Menschen ist der eigene Bauchnabel die Achse, um die sich die Welt dreht. Hate speeches und Fake news überfluten uns auf X und TikTok und werden fast schon als normal hingenommen. Unbarmherzigkeit im Umgang mit Versagen und Schuld. Verachtung gegenüber altem, dementem oder behindertem Leben…

Woher kann Abhilfe kommen? Gottes Alternative ist eine positive Option. Er will an einem Punkt zeigen, wie es anders geht. Er will zeigen, dass der Glaube, das Anerkennen Gottes eine Alternative schafft, eine andere Gesellschaft, einen Weinberg, der gute Früchte bringt. Damit der Weinberg des Christseins gute Früchte hervorbringt, müssen einige Reben am Weinstock dranbleiben. Wer Jünger Jesu, wer Christ sein will, muss mit den anderen sein wollen. Allein kann niemand Christ sein.

Das Beieinandersein und das „in ihm bleiben“, im Setzen auf ihn bleiben, ist das Entscheidende. Das Schöne daran ist, dass Jesus nicht sagt: Gute Früchte bringen nur die besten Sorten, die besten Beeren. So ist es auch mit dem Glauben und dem Christsein. Gott braucht keine Asketen, Helden und Heilige, nicht einmal Fromme. Er braucht einfach Menschen, die seinetwegen und wegen der Welt, wegen dieser Aufgabe, ihr zu helfen, beieinanderbleiben. 

Die sich immer wieder versammeln, zum Gottesdienst, um miteinander Gott zu loben und ihm zu danken und ihn um seine Hilfe zu bitten, um an seine Verheißungen und seine Gebote erinnert zu werden, damit man den Kompass für das Leben nicht verliert, damit man die Aufgabe nicht aus dem Blick verliert. Das Wunder der guten Früchte ist, dass sie aus einer Gemeinschaft von ganz unterschiedlichen Menschen kommen.

Vielleicht muss man noch etwas hinzufügen. Gott ist der Winzer. Er macht die Arbeit eines Winzers im Weinberg. Jesus sagt deswegen von ihm auch: „Jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.“ Gott reinigt die Reben, das heißt er beschneidet sie. 

Vielleicht können wir auch einmal mit diesem Bild und Wissen auf die Entwicklungen in der Kirche schauen, in unseren Seelsorgeeinheiten, den Pfarreien. Gerade die sogenannten „engagierten Christen“ in den Räten und Teams und die, die bei der Kirche irgendwie arbeiten – gerade wir klagen oft, dass es nicht mehr so wie früher ist, wie in den 70er oder 80er Jahren, dass es dies und jenes nicht mehr gibt, dass es vergessen oder abgestorben ist oder sogar abgeschafft wurde. Das ist alles verständlich, weil man gern Schönes bewahren will oder auch einfach, weil man für so lange Zeit etwas gewöhnt war.

Sicher ist manche Änderung klug und notwendig und andere nicht. Aber vielleicht kann man diese Veränderungen auch einmal vom Weinberg-Bild her anschauen, dass Gott seinen Weinberg „reinigt“, dass nicht irgendwelche Willkür, sondern Gott mit dem Werkzeug unserer Zeit und ihrer Veränderungen den Weinberg Kirche „reinigt“, dass Er manches abschneidet, reinigt, vielleicht sogar – wenn die Reben dranbleiben – veredelt. „Jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.“

Das ist kein Freibrief für unsinnige Reformen und menschliches Machen. Aber es bietet eine Perspektive, die uns als glaubende Menschen eigentlich vertraut sein könnte: Dass Gott auch in unserer Zeit handelt und dass wir einzeln, aber auch als Kirche immer wieder „gereinigt“ werden müssen, damit wir Frucht bringen für die Welt, damit wir auch Neuem und Heutigem Raum geben. 

Insofern ist das Bild vom Weinstock und den Reben einfach und klar und schön – aber eben nicht harmlos. Bitten wir Gott, dass er mit uns arbeite und an uns handle und dass wir mit Freude am Weinstock bleiben, dass wir einfach „dranbleiben“.

5. Sonntag der Osterzeit, 27./28. April 2024  |  Burladingen Comunità cattolica italiana; Burladingen St. Fidelis; Weilheim St. Marien |  Lesungen: Apg 9,26-31; 1 Joh 3,18-24; Evangelium: Joh 15,1-8  |  Achim Buckenmaier